Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag auf Festsetzung von Kindergeld mit berechtigten Interesse gem. § 67 Satz 2 EStG

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Türkische Staatsangehörige haben auf Grund der Gleichstellung mit Inländern nach dem Vorläufigen Europäischen Abkommen über Soziale Sicherheit vom 11.12.1953 (BGBl II 1956, 507) einen Kindergeldanspruch nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG, wenn sie seit wenigstens sechs Monaten im Inland wohnen.
  2. Der Anspruch setzt keinen spezifischen Aufenthaltstitel oder Erwerbsstatus voraus und greift auch bei der Unterbringung in einem Übergangsheim durch.
 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1; AO § 9; AuslG § 55; AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3

 

Streitjahr(e)

2001, 2002, 2003, 2004

 

Tatbestand

Die Klägerin besitzt die türkische Staatsangehörigkeit. Nach dem Inhalt der vom Gericht beigezogenen Ausländerakte reiste die Klägerin im Jahr 1996 in die Bundesrepublik ein und stellte am 15.04.1996 einen Asylantrag. Daraufhin erhielt sie eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens. Im Bescheid vom 23.09.1996 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte und den Antrag auf Feststellung, dass Abschiebehindernisse nach § 53 des Ausländergesetzes (AuslG 1990) vorliegen, ab. Erstmalig am 10.04.2000 erhielt die Klägerin eine Duldung nach § 55 AuslG 1990. Am 29.09.2003 lehnte das Bundesamt einen Antrag der Klägerin auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bzw. einer Änderung des Bescheides vom 23.09.1996 ebenfalls ab. Im Anschluss an diese Entscheidung erhielt die Klägerin weitere Duldungen. Seit dem 16.02.2007 ist die Klägerin im Besitz einer befristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) mit der ihr zugleich eine Erwerbstätigkeit gestattet worden ist.

Am 06.06.2005 beantragte die Klägerin die Festsetzung von Kindergeld für Ihre Kinder Bülent (geb. am 30.11.1991), T. (geb. am 11.10.2003) und A. (geb. am 22.11.2004). Unter dem 18.05.2005 stellte die A-Stadt einen Antrag auf Festsetzung von Kindergeld im berechtigten Interesse gemäß § 67 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin im Bescheid vom 10.06.2005 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die Klägerin nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels sei, der einen Anspruch auf Gewährung von Kindergeld begründe. Eine Berücksichtigung nach dem Abkommen über Soziale Sicherheit für in Deutschland lebende türkische Staatsangehörige könne nicht erfolgen, da die Voraussetzungen hierfür in Form einer beitragspflichtigen Beschäftigung bzw. des Bezugs von Lohnersatzleistungen nicht erfüllt seien. Ferner erfülle die Klägerin nicht die Voraussetzungen des Vorläufigen Europäischen Abkommens, da sie über keine eigene Wohnung verfüge.

Gegen den Bescheid legte die Klägerin fristgerecht Einspruch ein. Zur Begründung machte sie geltend, dass für türkische Staatsangehörige nach dem Vorläufigen Europäischen Abkommen über Soziale Sicherheit vom 11.12.1953 ein Kindergeldanspruch bestehe, wenn sie seit mindestens 6 Monaten in Deutschland wohnten. Dem Kindergeldanspruch stehe nicht entgegen, dass sie in einem Übergangsheim wohne. Bei der von ihr und ihrer Familie bewohnten Unterkunft handele es sich nämlich um Wohnraum im Sinne des § 4a Wohngeldgesetz (WoGG). Es handele sich dagegen nicht um eine Aufnahmeinrichtung des Landes im Sinne des § 47 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG).

Die Beklagte wies den Einspruch in der Entscheidung vom 09.05.2006 als unbegründet zurück und führte ergänzend aus: Nach dem Vorläufigen Europäischen Abkommen über Soziale Sicherheit mit der Türkei in Verbindung mit § 62 Abs. 1 EStG bestehe ein Anspruch auf steuerliches Kindergeld für diejenigen, die im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben oder – ohne diese Voraussetzungen zu erfüllen – nach § 1 Abs. 2 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig seien oder nach § 1 Abs. 3 als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt würden. Diese Voraussetzungen erfülle die Klägerin nicht. Sie habe keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, weil sie im Streitzeitraum in A-Stadt, A-Straße 1 gewohnt habe. Bei dieser Unterkunft handele es sich um eine von der A-Stadt, Ressort Zuwanderung und Integration betreute Sammelunterkunft. Der in dem Abkommen verwendete Begriff „wohnen” sei nicht identisch mit dem Begriff des Wohnsitzes/Aufenthaltes des deutschen Rechts. Deshalb stellten zum Beispiel Hotelzimmer oder Gemeinschaftsunterkünfte keine Wohnung dar.

Zur Begründung ihrer am 26.05.2006 erhobenen Klage macht die Klägerin geltend: Die Auffassung der Beklagten, dass sie nicht in Deutschland wohne, treffe nicht zu. Sie wohne seit Mai 1996, also seit 10 Jahren in A-Stadt. Von 1999 bis 2003 habe sie im Übergangsheim B gewohnt, wo ihr ein Zimmer mit eigener Toilette, Dusche und Backofen zur Verfügung gestanden habe. Seit 2003 bis 2007 habe sie mit kurzen Unterbrechungen im Übergangsheim A-Staße 1 in einer abges...

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