Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung nach schriftlicher Einlassung im finanzgerichtlichen Verfahren - Anhaltspunkte für unsachliche Einstellung
Leitsatz (amtlich)
1. Auf das finanzgerichtliche Verfahren ist wegen der Möglichkeit eines Gerichtsbescheids nicht die für den Zivilprozess vertretene Auffassung zu übertragen, dass die Einreichung eines Schriftsatzes nur im schriftlichen Verfahren (§ 128 Abs. 2 ZPO, vgl. § 90 Abs. 2 FGO) als Einlassung zum Verlust des Ablehnungsrechts führt (Anschluss an die stillschweigend geänderte BHF-Rspr.).
2. Aus behaupteten richterlichen Verfahrensverstößen oder Hinweisfehlern lässt sich eine Befangenheitsbesorgnis nur bei zusätzlichen Anhaltspunkten für eine unsachliche Einstellung ableiten.
Normenkette
FGO §§ 6, 51, 76, 79a, 90, 90a, 92; ZPO §§ 42-43, 45, 128
Tatbestand
A.
Zu entscheiden ist über einen in der mündlichen Verhandlung vom 23. April 2015 vom Kläger zu 1. gegen die Einzelrichterin gestellten Befangenheitsantrag wegen behaupteter Hinweispflicht-Verletzung im vorangegangenen Klageverfahren 3 K 20/14 gegenüber ihm als auch damaligen Kläger zu 1.
Und zwar habe die Einzelrichterin ihn damals unzureichend über den zu stellenden Klageantrag beraten, nämlich im Hinblick auf Feststellung der Nichtigkeit oder der Rechtswidrigkeit. Bei richtiger Beratung hätte er die Feststellung als rechtswidrig beantragt und hätte die Einzelrichterin ihm Recht geben müssen.
[...]
Entscheidungsgründe
B.
Das auf Befangenheit gestützte Ablehnungsgesuch ist unzulässig und im Übrigen auch unbegründet; demgemäß bleibt es bei der Zuständigkeit der Einzelrichterin als gesetzliche Richterin gemäß Gerichts- und Senats-Geschäftsverteilungen nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) i. V. m. §§ 4, 5, 6 FGO, §§ 21e, 21g Gerichtsverfassungsgesetz (GVG).
I.
Der Befangenheitsantrag ist unzulässig, weil der Kläger, sollte er ein Ablehnungsrecht gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 42 Zivilprozessordnung (ZPO) gehabt haben, dieses jedenfalls nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 43 ZPO verloren hätte.
1. Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 1 und 2 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen.
2. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 43 ZPO kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen bzw. ist das Ablehnungsgesuch unzulässig, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Zweck dieser Regelung ist, den Ablehnungsberechtigten zu veranlassen, sich sofort nach Kenntnis eines Befangenheitsgrundes zu entscheiden, ob er sich darauf berufen will oder nicht. Ob ein Richter am Verfahren mitwirken darf, soll nicht in der Schwebe bleiben (BFH, Beschluss vom 06.07.2005 II R 28/02, BFH/NV 2005, 2027, Juris Rz. 17; Urteil vom 23. Mai 2000 VIII R 20/99, BFH/NV 2000, 1359, Juris Rz. 22; Beschluss vom 29.03.2000 I B 96/99, BFH/NV 2000, 1130, Juris Rz. 11).
a) Die Tatbestandsmerkmale "in eine Verhandlung eingelassen" oder "Anträge gestellt" werden weit ausgelegt (BFH-Beschluss vom 20.12.2000 XI R 34/99, BFH/NV 2001, 797, Juris Rz. 7).
Auf das finanzgerichtliche Verfahren ist wegen der Möglichkeiten einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid (§ 79a Abs. 2, § 90a Abs. 1 FGO) nicht die für den Zivilprozess vertretene Auffassung zu übertragen, dass die Einreichung eines - Sachvortrag enthaltenden - Schriftsatzes mit der Einlassung in eine mündliche Verhandlung nur gleichgesetzt werden könne, wenn das schriftliche Verfahren (vgl. § 90 Abs. 2 FGO) stattfinde bzw. nach § 128 Abs. 2 ZPO angeordnet worden sei (FG Hamburg, Beschluss vom 09.04.2014 3 K 240/13, n. v.; entgegen BGH-Beschluss vom 16.01.2014 XII ZB 377/12, NJW-RR 2014, 382).
b) Ein Einlassen in eine Verhandlung bedeutet - zumindest im Finanzprozess - jedes prozessuale und der Erledigung des Rechtsstreits unter Mitwirkung des abgelehnten Richters dienende Handeln. Darunter fallen
aa) die Abgabe einer mündlichen oder telefonischen Erklärung zur Sache gegenüber dem Richter (BFH Beschluss vom 21. Juli 1993 IX B 50/93, BFH/NV 1994, 50) oder die Teilnahme an einem Erörterungstermin oder an einer Verhandlung (Beschlüsse BFH vom 24.02.2002 I B 134/01, BFH/NV 2002, 1310, nachgehend BVerfG vom 23.10.2002 1 BvR 626/02, Juris; FG Hamburg vom 14.06.2005 II 169/04, EFG 2005, 1626, DStRE 2005, 1365; BFH vom 12.08.1998 III B 23/98, BFH/NV 1999, 476; ständ. Rspr.);
so hier die zunächst rügelose Teilnahme am Verhandlungstermin der Einzelrichterin am 23. April 2015 einschließlich der rügelosen Erklärungen vor dem späteren Ablehnungsgesuch (oben A II 9);
bb) oder/und die Äußerung zur Sache mittels Einreichung eines unterzeichneten Schriftsatzes (vgl. oben a; BFH-Beschlüsse vom 18.03.2013 VII B 134/12, BFH/NV 2013, 1102; vom 6. Juli 2005 II R 28/02, BFH/NV 2005, 2027, Juris Rz. 10; vom 29. März 2000 I...