Entscheidungsstichwort (Thema)

FGO: Keine Befangenheit durch Justiz-Kontakte

 

Leitsatz (amtlich)

Richterliche gerichtsübergreifende Kontakte, Erkundigungen oder zeitliche Verfahrens-Abstimmungen begründen keine Befangenheitsbesorgnis, sondern können zur Vorbereitung der Verhandlung sachgerecht oder geboten sein.

 

Normenkette

FGO §§ 51, 76, 79, 86; ZPO § 42

 

Gründe

Ungeachtet der Frage der Zulässigkeit ist der Befangenheitsantrag gemäß § 51 FGO i. V. m. § 42 ZPO zumindest unbegründet.

I.

Die beanstandete Hinweisverfügung der Einzelrichterin vom 7. November 2016 lässt keinen Grund im Sinne von § 42 Abs. 2 ZPO erkennen, der geeignet wäre, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Einzelrichterin zu rechtfertigen.

Ausgehend vom gerichtsüblichen Sprachgebrauch, hier gegenüber dem als Prozessbevollmächtigten auftretenden Berufsträger im Sinne von § 62 Abs. 2 FGO, ist der Hinweis auf die Möglichkeit, etwaige Zeugen zur Verhandlung zu "sistieren", eindeutig im Sinne der Möglichkeit, die Zeugen zum Termin mitzubringen oder zu stellen (vgl. z. B. BFH, Beschlüsse vom 07.07.2008 VIII B 106/07, BFH/NV 2008, 2028; vom 30.03.2006 IV B 2002/04, Juris).

Durch einen solchen Hinweis wird einem Beteiligten rechtzeitig Gelegenheit zur entsprechenden Beweisvorsorge gegeben (vgl. Beschlüsse BVerfG vom 29.03.2007 2 BvR 547/07, Juris; BFH vom 30.03.2006 IV B 202/04, Juris).).

II.

Eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 42 ZPO besteht auch nicht im Hinblick auf angefragte Kontakte der Einzelrichterin mit Strafrichtern, Staatsanwaltschaft oder dortigen Akteuren eines im sachlichen Zusammenhang mit dem Finanzprozess vorangegangenen Strafverfahrens (Landgericht Hamburg, Urteil vom ..., ..., nachgehend BGH, Beschluss vom ..., ...); ebenso wenig im Hinblick auf Kontakte mit im Strafurteil genannten Personen, Behörden oder deren Amtsträgern.

1. Abgesehen von der Unzulässigkeit der mit dem Befangenheitsgesuch verbundenen ausforschenden Aufforderung an die Einzelrichterin, in ihrer dienstlichen Äußerung zur Frage derartiger Kontakte Stellung zu nehmen, hat die Einzelrichterin die Frage bereits verneinend beantwortet, sind derartige Kontakte nicht behauptet worden und auch sonst nicht ersichtlich.

2. Im Übrigen wären derartige Kontakte als solche nicht zu beanstanden, sondern können sie aufgrund der finanzprozessualen Amtsermittlung (§ 76 FGO) zur Vorbereitung der Erörterung oder Verhandlung (§ 79 FGO) sachgerecht oder geboten sein; beispielsweise mittels Anfragen zum Sachstand, zu Entscheidungen oder zu Verfahrens- und Beweismittelakten (§ 76, § 79, § 86 FGO).

3. Eine Befangenheitsbesorgnis würde nicht begründet durch gerichtsübergreifende berufliche Kontakte oder Zugehörigkeit zu einer Organisation (vgl. Beschlüsse Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz vom 10.01.2014 VGH B 35/15, Juris; FG Hamburg vom 09.02.2012 3 K 161/11, EFG 2012, 1174, Juris Rz. 7; Bay. VGH vom 25.03.2011 16a D 09.2177, Juris; OLG Schleswig vom 17.10.1995 16 W 234/95, SchlHA 1996, 49; OLG Frankfurt vom 26.02.1981, MDR 1981, 689).

4. Sachgerecht wären auch gerichtsübergreifende zeitliche Abstimmungen betreffend Verfahren zu ähnlichen Fragen (BFH, Beschluss vom 11.08.1992 III S 21/92, BFH/NV 1993, 183; III S 23/92 Juris; III S 21/92, Juris), weitere Erkundigungen und die Teilnahme als Zuhörer in Verhandlungen anderer Gerichte im In- und Ausland wegen eines Zusammenhangs mit dem Streitgegenstand (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13.11.2007 9 W 80/07, MDR 2008, 466).

5. Abgesehen von den gesetzlichen Ausschlussgründen zum Beispiel bei Mitwirkung in einer Vorinstanz oder in einem dem Finanzprozess vorangegangenen Verwaltungsverfahren (§ 51 Abs. 2 FGO) wäre ein auf bloße Vorbefassung mit Verfahren des Beteiligten oder mit Parallelverfahren oder ähnlichen Fragen gestützter Befangenheitsantrag bereits

  1. unzulässig (Beschlüsse BVerfG vom 27.04.2016 2 BvC 36/14, Juris; BGH vom 07.08.2012 1 StR 212/12, NStZ-RR 2012, 350; OVG Münster vom 31.01.2013, Juris) oder
  2. zumindest unbegründet (Beschlüsse BFH vom 29.07.1998 VII S 11/98, BFH/NV 1999, 201; BGH vom 27.12.2011 V ZB 175/11, MDR 2012, 363 OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.08.2013 19 W 136/13, Juris);
  3. auch bei strafrechtlicher Vorbefassung (Beschlüsse BGH vom 10.02.2016 2 StR 533/14, Juris; vom 03.12.2015 1 StR 169/15, NStZ 2016, 357; vom 07.08.2012 1 StR 2112/12, NStZ-RR 2012, 350; vom 10.01.2012 3 StR 400/11, NStZ 2012, 519; OLG Rostock vom 18.05.2016 20 Ws 100/16, Juris Rz. 26).

Entsprechendes würde gelten

  1. nach atypischer Vorbefassung mit rechtlich anderen, gleichwohl sachlich oder personell zusammenhängenden oder personenidentisch vertretenen Streitgegenständen (vgl. FG Hamburg, Beschluss vom 12.11.2005 III 56/05, EFG 2006, 689)

    aa) wie in Zivilsachen (Beschlüsse BGH vom 18.12.2014 IX ZB 65/13, NJW-RR 2015, 444; OLG Frankfurt vom 15.09.2014 1 W 52/14, Juris Rz. 38 ff.) oder

    bb) wie in Strafsachen (Beschlüsse BGH vom 08.05.2014 1 StR 726/13, NJW 2014, 2372 {Bsp. Haftbefehl}; vom 27.11.2012 5 StR 492/12, Juris; OLG Koblenz vom 25.05.1982 1 Ws 183/82, NSt...

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