Entscheidungsstichwort (Thema)
Entstehung von Zoll und Einfuhrumsatzsteuer auf Flugzeuge bei Verstößen gegen den Zollflugplatzzwang
Leitsatz (amtlich)
1. Die Täuschungsabsicht wird nicht durch den objektiven Pflichtverstoß indiziert, sondern muss im Einzelfall festgestellt werden.
2. Die Zurechnungskriterien, die der EuGH in der Rs. Ultra-Brag zu Art. 212a ZK und Art. 202 Abs. 3 Anstrich 1 ZK aufgestellt hat (Urteil vom 25. Januar 2017, C-679/15, Rn. 39), gelten auch für Art. 86 Abs. 6 UZK.
3. Eine Täuschung i.S.v. Art.86 Abs. 6 UZK kann auch durch Unterlassen erfolgen.
4. Für die Aussetzung der Vollziehung von Verzugszinsen gemäß Art. 114 UZK muss keine Sicherheit geleistet werden.
5. Das Absehen von der Sicherheitsleistung für die Einfuhrumsatzsteuer gem. § 21 Abs. 3 UStG gilt auch für die Aussetzung der Vollziehung.
6. Die Einfuhrumsatzsteuer auf ein Flugzeug, das ohne Passagiere und ohne Befreiung vom Zollflugplatzzwang aus einem Drittland kommend auf einen deutschen Flugplatz landet, der kein Zollflugplatz ist, entsteht erst, wenn es mit einem Passagier, der das Flugzeug gechartert bzw. gemietet hat, wieder in Richtung Kopenhagen abhebt (Weiterführung von FG München, Urteile vom 9. April 2019, 14 K 2649/16 und 14 K 408/17).
7. Die Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2, 8 Abs. 2 Nr. 1 UStG ist auf das vorschriftswidrige Verbringen gem. Art. 79 Abs. 1 Buchst. a Var. 1 UZK analog nicht anwendbar.
Normenkette
UZK Art. 45, 79 Abs. 1 Buchst. a Variante 1, Art. 86 Abs. 6, Art. 203; MwStSysRL Art. 14 ff., Art. 24 ff.; UStG § 3a Abs. 3 Nr. 2 S. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 5, § 13 Abs. 2, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 21 Abs. 2 Hs. 1, Abs. 3; ZollVG § 2 Abs. 2, § 3 Abs. 4, § 5 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. g; EUStBV § 1 Abs. 2
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Einfuhrabgabenbescheids, mit dem Zoll und Einfuhrumsatzsteuer, jeweils nebst Zinsen, festgesetzt werden.
Die Antragstellerin, die Privatjets verchartert, beantragte am 17. Oktober 2018 bei der Flugleitung des Flughafens A (im Folgenden: Flugleitung) die Genehmigung zweier Start- und Landeslots für das Flugzeug XXX, Baujahr 2009, mit der Registrierung B (im Folgenden: Flugzeug). Geplant war ein Flug von Paris-Le Bourget am 5. November 2018, der gegen 07:30 Uhr in A landen sollte. Der Weiterflug nach Kopenhagen-Kastrup war für 9:00 Uhr vorgesehen. Diese Slots bestätigte die Flugleitung A mit E-Mail vom 18. Oktober 2018. Da es sich um Flüge innerhalb der EU handelte, war eine Befreiung vom Zollflugplatzzwang nicht erforderlich.
Mit E-Mail vom Sonntag, den 4. November 2018, 8:23 Uhr, informierte die Antragstellerin die Flugleitung, dass der erste Flug nicht wie geplant durchgeführt werden würde. Stattdessen werde das Flugzeug aus Oslo-Gardermoen kommend ohne Passagiere am 4. November 2018 um 16:00 Uhr in A landen. Das Flugzeug würde sodann wie ursprünglich geplant mit einem Passagier am Folgetag um 9:00 Uhr nach Kopenhagen weiterfliegen. Die E-Mail enthielt die Standardformulierung:
- We will send the CUSTOMS FORM ASAP (German customs clearance required for flights to/f[ro]m NON-European Union [...]
Die Flugleitung antwortete am 4. November 2018, 9:08 Uhr, dass die Ankunft nur bis 15:15 Uhr möglich sei.
Am 5. November 2018, 5:15 Uhr, schrieb die Flugleitung der Antragstellerin, dass Flüge aus Norwegen ohne Freigabe durch den Zoll nicht möglich seien, weil Norwegen kein EU-Mitgliedstaat sei. Ohne eine solche Freigabe bestehe keine Landeberechtigung. Dessen ungeachtet landete das Flugzeug um 08:30 Uhr (Ortszeit) auf dem Flughafen A, der kein Zollflugplatz ist, ohne eine Genehmigung zur Befreiung vom Zollflugplatzzwang eingeholt zu haben. Dort wurde es vom Antragsgegner, den die Flugleitung verständigt hatte, kontrolliert. Das Flugzeug flog sodann wenig später mit einem Fluggast nach Kopenhagen.
Die vertragliche Beziehung zwischen der Antragstellerin und dem Fluggast war so ausgestaltet, dass sie ihm das Flugzeug für die Flugstrecke von A nach Kopenhagen zur Verfügung stellte. Hierfür zahlte der Fluggast eine Nutzungsgebühr für die verbrauchten Flugstunden.
Der Antragsgegner setzte mit Einfuhrabgabenbescheid XXX-1 vom 11. Februar 2019 gegen die Antragstellerin wegen des vorschriftswidrigen Verbringens des Flugzeugs aus einem Drittland ... € Zoll und ... € Einfuhrumsatzsteuer fest. Außerdem setzte er 2 % Verzugszinsen fest für die Zeit vom 6. November 2018 bis zum 18. Februar 2019 und zwar ... € Verzugszinsen auf den festgesetzten Zoll und ... € auf die festgesetzte Einfuhrumsatzsteuer.
Mit Schreiben vom 28. Februar 2019 legte die Antragstellerin Einspruch gegen den Einfuhrabgabenbescheid ein (RL xxx) und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Bereits mit Schreiben vom 6. Februar 2019 hatte sie geltend gemacht, dass das Unterlassen der Beantragung einer Befreiung vom Zollflugplatzzwang für den kurzfristig umgeplanten Flug am 5. November 2018 wegen eines Arbeitsfehlers nicht erfolgt sei. Es handele sich nicht um einen Wieder...