Beschwerde eingelegt (BFH VII B 9/22)
Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsschutzkontrollgesetz: Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischwirtschaft Eilantrag gegen das Fremdpersonalverbot in der FleischwirtschaftModifizierung der Rechtsprechung
Leitsatz (amtlich)
1. Zulässigkeit eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem die Antragstellerin die Feststellung begehrt, dass sie nicht als Betrieb der Fleischwirtschaft dem Beschäftigungsverbot nach dem Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) unterfällt (entgegen FG Nürnberg, Urteil vom 20.07.2021, 1 K 382/21).
2. Die Anwendung des Überwiegensprinzips nach § 6 Abs. 9 AEntG setzt voraus, dass es sich bei dem jeweils in Rede stehenden Betrieb um einen Mischbetrieb handelt. Handelt es sich dagegen bei dem zu beurteilenden Betrieb um keinen Mischbetrieb, richtet sich die Prüfung, ob dieser Betrieb einer Branche im Sinne des § 6 AEntG zuzuordnen ist, nicht nach dem Überwiegensprinzip; vielmehr unterfällt ein solcher Betrieb ohne Überwiegensprüfung kraft des von ihm verfolgten alleinigen Geschäftszweckes der im Katalog des AEntG aufgeführten Branche (Modifizierung der Rechtsprechung).
3. Ein Betrieb ist als Mischbetrieb einzuordnen, wenn er mehrere Geschäftszwecke, d.h. mehrere konkrete eigenständige Tätigkeitsbereiche verfolgt. Bei den in den Bereichen Kartonierung, Palettierung, Lagerung und Versand ausgeführten Tätigkeiten handelt es sich um sog. Zusammenhangstätigkeiten, die der eigentlichen Haupttätigkeit –- scil. der Herstellung von Nahrungsmitteln aus Fleisch –- dienen, zu ihrer sachgerechten Ausführung notwendig sind und nach der Verkehrssitte üblicherweise von den Produzenten miterledigt werden.
4. In Anwendung von § 6 Abs. 9 AEntG unterhält die Klägerin an ihrem Produktionsstandort zumindest eine selbstständige Betriebsabteilung der Fleischwirtschaft im Sinne des § 2 Abs. 1 GSA Fleisch, denn sie verarbeitet im Sinne des § 6 Abs. 9 AEntG Fleisch, um damit Nahrungsmittel herzustellen. Deshalb unterfällt sie grundsätzlich dem Kooperationsverbot des § 6a Abs. 1 GSA Fleisch und dem Fremdpersonalverbot des § 6a Abs. 2 GSA Fleisch.
5. Nicht alle Tätigkeitsbereiche eines Betriebes der Fleischwirtschaft unterfallen dem Fremdpersonaleinsatzverbot des § 6a Abs. 2 GSA Fleisch; einem Betrieb der Fleischwirtschaft im Sinne des § 2 Abs. 1 GSA Fleisch ist es nicht generell aufgrund von § 6a Abs. 2 GSA Fleisch untersagt, Fremdpersonal einzusetzen.
6. Die Vorschrift des § 6a Abs. 2 GSA Fleisch und das dort normierte Fremdpersonaleinsatzverbot ist funktional zu verstehen.
Normenkette
GSA Fleisch § 2 Abs. 1, § 6a Abs. 2; AEntG § 6 Abs. 9; FGO § 114
Nachgehend
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin begehrt die einstweilige Feststellung, dass sie nicht als Betrieb der Fleischwirtschaft dem Beschäftigungsverbot nach dem Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) unterfällt.
An ihrem Standort in A stellt die Antragstellerin sog. Convenience-Produkte wie Chicken Nuggets und Schnitzel her, wobei einige Produktionsschritte von ihrer Tochtergesellschaft, der Firma B GmbH & Co. KG (im Folgenden: Firma B), übernommen werden.
Die Antragstellerin beschäftigte an ihrem Standort in A im Jahr 2020 insgesamt etwa durchschnittlich ... Mitarbeiter, darin enthalten ein Anteil von ca. ... Werksvertragsarbeitern.
Der Produktionsprozess beginnt mit der Rohwarenannahme, bezüglich der eine stichprobenartige Kontrolle durchgeführt wird. Im anschließenden Auspackbereich wird die angelieferte TK-Ware auf Auftauwägen gelegt und in den Auftauraum verbracht. Die aufgetaute TK-Ware sowie die angelieferte frische Ware werden sodann ausgepackt, in Vemag-Wägen gelegt und zur Weiterverarbeitung in den Schneideraum transportiert, wo die Ware sortiert und geschnitten wird. Die Bereiche Warenannahme, Auspackbereich und Schneideraum werden von der Firma B übernommen.
Im anschließenden Produktionsschritt des Tumbler werden den Fleischteilen von Mitarbeitern der Antragstellerin Marinade und Gewürze zugefügt, bevor das Fleisch in einen brätartigen Zustand zu Fleischmasse verarbeitet wird. An den folgenden Veredelungslinien wird die Formware veredelt, d.h. zu Schnitzeln und Chicken Wings verarbeitet. An den Veredelungsbereich schließt sich der Frosterbereich an, wo die Produkte gefrostet werden, bevor sie im High-Risk-Bereich auf eine Verpackungslinie kommen; dort werden die Produkte automatisch in einen Beutel abgepackt und verschlossen.
Die im Beutel verschlossenen Produkte gelangen sodann über ein Förderband in die Verpackungsabteilung. Hier werden die Produkte kartoniert, zum Teil in Transportbehältern zwischengelagert, aber auch in verschlossenen Kartons zum Lager oder zur Palettierung befördert.
Der Standort in A verfügt zudem über ein Tiefkühl- und Hilfs-/Betriebsstofflager, eine Verwaltungsabteilung, eine Werkstatt sowie eine Qualitätssicherung.
Die Antragstellerin...