Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzung auf der Grundlage der Richtsatzsammlung für Gastronomiebetriebe im summarischen Verfahren
Leitsatz (amtlich)
Im summarischen Verfahren ist die Schätzung eines Gastronomiebetriebs (Restaurant mit portugiesisch-mediterraner Küche) auf der Grundlage der Richtsatzsammlung unter Berücksichtigung des Mittelwerts der Bandbreite der Rohgewinnaufschlagsätze (im Streitjahr 257 %) nicht zu beanstanden, wenn sich der geprüfte Betrieb in guter Lage befindet, in den sozialen Medien positiv bewertet und als gut besucht dargestellt wird und keine substantiierten Gründe vorgetragen werden, die eine schlechte Ertragslage nahelegen.
Normenkette
AO § 162
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin betreibt seit dem ... das Restaurant "XXX" im sog. Portugiesenviertel in Hamburg. Sie ermittelte ihren Gewinn durch Einnahme-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Gemäß Anordnung vom 17. Dezember 2013 erfolgte eine Außenprüfung für die Jahre 2009 bis 2011, in denen die Antragstellerin ausschließlich Verluste, und zwar in Höhe von ... Tsd. €, ... Tsd. € und ... Tsd. €, erklärt hatte. Aufgrund einer Kontrollmitteilung des Außenprüfers wurde am 28. März 2014 ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren und am 24. Juli 2014 das Strafverfahren gegen die Antragstellerin eingeleitet und die Außenprüfung auf das Streitjahr 2012 erweitert.
Der Außenprüfer stellte fest, dass die Buchführung nicht ordnungsgemäß war, hierüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit. Weil die Antragstellerin ihrer Verfahrensbevollmächtigten für die Erstellung der Steuererklärungen keine Unterlagen über Bargeldbewegungen vorgelegt hatte, hatte diese bei Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen für die Prüfungsjahre selbst Bareinnahmen hinzugeschätzt (... Tsd. € in 2009 und 2011 sowie ... Tsd. € in 2010 und offenbar knapp ... Tsd. € in 2012). Auch unter Einbeziehung dieser Zuschätzungen und vom Außenprüfer korrigierter Sachbezüge ergaben sich unter dem niedrigsten Wert der Richtsatzsammlung liegende Rohgewinnaufschlagsätze (RGAS), und zwar in
2009 |
112,48 % |
(170 % bis 335 %) |
2010 |
112,77 % |
(186 % bis 400 %) |
2011 |
150,27 % |
(203 % bis 426 %) |
2012 |
177,31 % |
(186 % bis 400 %) |
Gemäß Außenprüfungsbericht vom 18. April 2019 (2009 bis 2011) und Ergänzungsbericht vom 15. Mai 2019 (2012) erfolgte eine Schätzung auf Grundlage des erklärten Wareneinsatzes unter Anwendung des Mittelwerts der Richtsatzsammlung (wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berichte Bezug genommen).
Am 1. Juli 2019 ergingen Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag 2012 (Gewerbesteuermessbetrag = 0 €) und 2013 (Gewerbesteuermessbetrag = 1.064 €), die jeweils am 27. Dezember 2019 geändert wurden; der Gewerbesteuermessbetrag für 2012 wurde auf 815 €, der für 2013 auf 0 € festgesetzt. Ebenfalls am 27. Dezember 2019 wurde der Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 2012 vom 1. Juli 2019 aufgehoben. Mit Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 2013 vom 1. Juli 2019 war die Feststellung mangels vortragsfähigen Verlustes abgelehnt worden.
Unter dem 20. November 2019, nochmals geändert am 27. Dezember 2019, erging der geänderte Bescheid für 2012 über Einkommensteuer.
Hiergegen richteten sich die am 29. Juli 2019 und 26. November 2019 (Einkommensteuer) eingegangenen Einsprüche, mit denen die Antragstellerin Zweifel gegen die Feststellungen der Außenprüfung und der Steuerfahndungsstelle geltend machte und Aussetzung der Vollziehung beantragte. Die Gewährung von Aussetzung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner am 29. November 2019 (Einkommensteuer) und 21. Januar 2020 (Gewerbesteuer) ab. Ein hiergegen gerichtetes Einspruchsverfahren blieb erfolglos. Mit Entscheidung vom 8. Juni 2020 wurden auch die Einsprüche zur Hauptsache zurückgewiesen.
Am 9. Juli 2020 hat die Antragstellerin Aussetzung der Vollziehung bei Gericht beantragt und Klage erhoben (2 K 121/20), über die noch nicht entschieden ist.
Die Antragstellerin nimmt nicht in Abrede, dass Zuschätzungen vorzunehmen seien, weil die Buchführung fehlerhaft gewesen sei. Zu beanstanden sei aber, dass den Schätzungen der Mittelwert der Richtsatzsammlung zu Grunde gelegt worden sei. Hierdurch seien persönliche Umstände, wie beispielsweise erstmalige Aufnahme einer gastronomischen Tätigkeit, Öffnungszeiten, Urlaub und Ferienzeiten der Familie und persönliche Überforderung nicht berücksichtigt worden. Auch wenn sich das Restaurant in einer guten Lage befinde, sei bei der Prüfung nicht verprobt worden, ob sie, die Antragstellerin, die geschätzten Umsätze überhaupt habe erwirtschaften können.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Bescheide für 2012 über den Gewerbesteuermessbetrag, die Gewerbesteuer, über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 2012, jeweils vom 27. Dezember 2019, und auf den 31. Dezember 2013 vom 1. Juli 2019 sowie über Eink...