rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Finanzgerichtsordnung/Zivilprozessordnung: Keine Befangenheit aufgrund selbst angezeigter Gruppenzugehörigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Über die richterliche Selbstanzeige eines Verhältnisses im Hinblick auf mögliche Besorgnis der Befangenheit hat das Gericht auch dann zu entscheiden, wenn weder der Richter sich ablehnt noch die Beteiligten ihn nach Kenntnisnahme vom Inhalt der Anzeige ablehnen.

2. Eine Besorgnis der Befangenheit kommt nicht schon wegen Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe oder wegen möglicher gruppenbezogener - hier steuerlicher - Auswirkungen einer zu treffenden Entscheidung in Betracht, sondern nur aus individuellen Gründen wie bei einem über die Gruppenzugehörigkeit hinausgehenden Sonderinteresse oder Sondervorteil oder bei gesteigerten ehrenamtlichen Aktivitäten für ein Gruppenziel.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO §§ 42, 48

 

Tatbestand

A.

Der Kläger begehrt die einkommensteuerliche Zusammenveranlagung in eingetragener Lebenspartnerschaft und rügt die Ungleichbehandlung gegenüber der Ehegattenbesteuerung als verfassungswidrig.

Ein gemäß Senats-Geschäftsverteilungsplan zur Mitwirkung berufener Richter hat mit Selbstanzeige vom 07. November 2011 gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 48 Zivilprozeßordnung auf seine eingetragene Lebenspartnerschaft und auf die in dem Rechtsstreit bestehende Möglichkeit einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) oder den Europäischen Gerichtshof (EuGH) hingewiesen.

Die Beteiligten sind dazu gehört worden und sehen keine Veranlassung zur Ablehnung des Richters.

 

Entscheidungsgründe

B.

I.

Das Gericht entscheidet in der für Richterablehnungen zuständigen Besetzung ohne Mitwirkung des die Selbstanzeige unterbreitenden Richters, ob eine Ablehnung wegen Befangenheit gerechtfertigt ist (§ 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 48, § 45 Abs. 1, § 46 Abs. 1 ZPO).

II.

Aus der vorliegenden Selbstanzeige ergibt sich kein Grund zur Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit, das heißt nach § 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 42 ZPO kein Grund, der geeignet wäre, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen; danach bleibt es bei seiner Zuständigkeit als gesetzlicher Richter gemäß Gerichts- und Senats-Geschäftsverteilungen nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) i. V. m. §§ 4 ff., §§ 79 ff. FGO, § 21e, § 21 f. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG).

1. Gemäß § 48 ZPO hat das Gericht auch dann über die Besorgnis der Befangenheit zu entscheiden, wenn weder der Richter sich in der Anzeige selbst ablehnt noch ein Beteiligter ihn nach Kenntnisnahme vom Inhalt der Anzeige ablehnt. Zu entscheiden ist nach dieser Vorschrift schon wegen der Anzeige eines Verhältnisses, "das seine Ablehnung rechtfertigen könnte". Mit anderen Worten genügt auch eine Anzeige, mit der der Richter wegen einer möglichen Befangenheitsbesorgnis (etwa eines Beteiligten) aufgrund des Sachverhalts "Zweifel" (wie im Sinne der letzten Alternative der Vorschrift) äußert und darüber zumindest vorsorglich eine Entscheidung des Gerichts herbeiführen möchte (vgl. Verwaltungsgericht - VG - Freiburg vom 10. Februar 2011 6 K 100/11, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungs-Report - NVwZ-RR - 2011, 544 m. w. N.; z. T. entgegen Brandenburgisches Oberlandesgericht - OLG - vom 27. November 2008 1 U 14/08, OLGReport - OLGR - 2009, 307; vgl. ferner Vollkommer in Zöller, ZPO, 29. A., § 48 Rd. 2-3)

2. Der Senat folgt der ständigen Rechtsprechung, nach der eine Besorgnis der Befangenheit eines Richters nur aus individuellen Gründen und nicht schon wegen seiner Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe in Betracht kommt. Insofern gilt für die vorliegende Zugehörigkeit des Richters zur Gruppe eingetragener Lebenspartner nichts anderes als für die Zugehörigkeit von Richtern zu anderen Gruppen wie Eheleute, nichteheliche oder nichteingetragene Partner, Geschlecht, Konfession, Partei, Gewerkschaft, Berufsverband, Beruf, örtliche Nähe oder frühere berufliche Kontakte zu Beteiligten (vgl. Niedersächsisches Finanzgericht - FG - vom 13. Februar 2003 16 K 198/02, BeckRS, Juris; Bundesgerichtshof - BGH - vom 10. Mai 2001 1 StR 410/00, Neue Zeitschrift für Strafrecht Rechtsprechungs-Report - NStZ-RR - 2002, 66; Bundesfinanzhof - BFH - vom 18. Februar 1997 VIII R 54/95, BFHE 183, 6, BStBl II 1997, 647; vom 17. September 1987 VIII B 199/86, Juris). Die gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren der Auswahl von Berufs- oder ehrenamtlichen Richtern können gerade die Berücksichtigung oder Auswahl von Angehörigen solcher gesellschaftlichen Gruppen mit sich bringen (vgl. Bundessozialgericht - BSG - vom 23. Mai 2007 B 6 KA 27/06 B, Juris; Bundesverfassungsgericht - BVerfG - vom 05. März 1989 2 BvR 1277/88, Juris).

3. Ein individuelles Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters wird auch nicht dadurch begründet, dass die Gruppe, der der Richter angehört, am Verfahrensausgang interessiert oder davon insgesamt oder teilweise betroffen s...

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