Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz: Einigungsgebühr oder Erledigungsgebühr im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
Leitsatz (amtlich)
Warum im finanzgerichtlichen Verfahren keine Einigung über rechtliche Unklarheiten und damit keine Einigungsgebühr in Betracht kommt, bleibt offen. Der Rechtsanwalt kann bei Erledigung eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes durch seine besondere Mitwirkung eine Erledigungsgebühr verdienen, wenn bei der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO oder bei der Aussetzung der Vollziehung (AdV) nach § 69 Abs. 3 FGO die vorangehende behördliche Ablehnung im Beschlussverfahren in ihrer rechtlichen Wirkung beseitigt oder geändert werden soll und damit mittelbar angefochten wird (Änderung der Rechtsprechung).
Normenkette
AO § 361; EStG § 62; FGO § 57 Nr. 3, § 69 Abs. 3, 7, § 79 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, § 79a Abs. 1 Nr. 5, §§ 139, 149; GG Art. 3, 20; RVG § 13; RVG-VV Nrn. 1002-1003; VwGO § 80 Abs. 5, § 87a Abs. 1 Nr. 5; VwVfG § 54
Tatbestand
A.
Streitig ist eine anwaltliche Einigungsgebühr oder zumindest Erledigungsgebühr bei tatsächlicher Verständigung und übereinstimmender Erledigungserklärung im gerichtlichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes.
I.
Parallel zur Klage 1 K 5/10 hat der Antragsteller sich im hier interessierenden Verfahren 1 V 6/10 wegen Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Bescheids beim Finanzgericht (FG) anwaltlich vertreten lassen.
Für das Klageverfahren 1 K 5/10 gegen den Kindergeld-Aufhebungs- und -Rückforderungsbescheid und für das gerichtliche AdV-Verfahren sind im richterlichen Erörterungstermin vom 4. Mai 2010 unter Mitwirkung des anwaltlichen Vertreters sowohl eine tatsächliche Verständigung über einen abweichenden Zeitraum der Kindergeld-Voraussetzungen als auch - über die gestellten Anträge hinaus - eine Ratenzahlungsvereinbarung zustande gekommen. Dabei haben die Beteiligten beide Verfahren in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.
Mit daran anschließend protokolliertem Beschluss der Berichterstatterin sind der Antragsgegnerin 83 % der Kosten des gerichtlichen AdV-Verfahrens nach einem Streitwert von 756 Euro auferlegt worden (Protokoll, Finanzgerichts-Akte --FG-A-- Bl. 32 ff).
II.
Im Kostenfestsetzungsverfahren hat der Antragsteller durch seinen Rechtsanwalt vorgetragen: Die Gebühr sei durch die anwaltliche Mitwirkung an der Einigung entstanden, insbesondere dadurch, dass der Anwalt mit ihm (dem Antragsteller) beraten habe, ob es zu der Einigung kommen solle. Die Einigung sei zur Beseitigung einer Ungewissheit möglich gewesen. Die Regelung im RVG bezwecke die Honorierung der anwaltlichen Mitwirkung an der Streitbeendigung (FG-A Bl. 39 ff).
Die Antragsgegnerin hat geltend gemacht: Es habe sich nicht um eine besondere Mitwirkung oder Tätigkeit gehandelt, die über die mit der Prozessgebühr abgegoltene Einlegung und Begründung "der Klage" (möglicherweise gemeint: des gerichtlichen AdV-Antrags?) hinausgehe (FG-A Bl. 37).
III.
Die Urkundsbeamtin hat die Festsetzung einer Einigungs- oder Erledigungsgebühr abgelehnt mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 29. Juli 2010 (zugestellt 3. August 2010). Eine Einigungsgebühr sei nicht entstanden, weil wegen der Gesetzesbindung der Verwaltung über Steueransprüche nicht vertraglich verfügt werden könne. Für eine Erledigungsgebühr fehle es im gerichtlichen AdV-Verfahren an der Erledigung durch "Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts" im Sinne von Nr. 1002 VV. Nach in der Rspr. vertretener Auffassung stehe die bei Gericht begehrte AdV nicht im Zusammenhang mit deren behördlicher Ablehnung und Gewährung (FG-A Bl. 43 ff).
IV.
Mit der am 13. August 2010 anwaltlich eingelegten Erinnerung trägt der Antragsteller weiter vor: Bei der anwaltlichen Mitwirkung sei es auch um die Frage gegangen, welche Zahlungen geleistet werden sollten. Nur aufgrund der zustande gekommenen Ratenzahlungsvereinbarung habe er (der Antragsteller) sich in der Lage gesehen, der gesamten Einigung zuzustimmen (FG-A Bl. 50 ff).
V.
Die Urkundsbeamtin hat der Erinnerung nach nochmaligem Hinweis auf die im Kostenfestsetzungsbeschluss vertretene Auffassung am 3. Dezember 2010 nicht abgeholfen (FG-A Bl. 54 ff),
Entscheidungsgründe
B.
Die zulässige Erinnerung ist begründet (§ 149 Abs. 2, 4 Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Im Rahmen der nach § 138 FGO getroffenen Kostenentscheidung und in Höhe der darin festgelegten Kostenquote hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller ungeachtet der Frage der anwaltlichen Einigungsgebühr (I) zumindest die anwaltliche Erledigungsgebühr (II) als gesetzlich vorgesehene Gebühr gemäß § 139 Abs. 1, 3 Satz 1 FGO zu erstatten.
I.
Da sich die Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV und die Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 VV der Höhe nach entsprechen und im gerichtlichen Verfahren gemäß Nr. 1003 VV jeweils eine 1,0 Gebühr ausmachen, kommt es bei Zuerkennung einer Erledigungsgebühr mangels weitergehender Beschwer nicht darauf an, ob bereits die...