Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgabenordnung: Pflicht zur Führung eines Kassenbuches bei Bareinnahmen und -ausgaben
Leitsatz (amtlich)
1. Wickelt der Steuerpflichtige Barverkäufe im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit dergestalt ab, dass die Kunden den Kaufpreis unmittelbar nach Kaufvertragsschluss in bar begleichen, ist er zur Führung eines Kassenbuchs gem. § 146 Abs. 1 Satz 2 AO verpflichtet.
2. Die nachträgliche Buchung als Entnahme einer Kaufpreisforderung und vermeintliche Vereinnahmung des Bargeldes im Privatvermögen führt nicht dazu, dass keine Bareinnahmen im Sinne des § 146 Abs. 1 Satz 2 AO vorliegen.
3. Der Begriff der "Kasse" im Sinne des § 146 Abs. 1 Satz 2 AO ist weit zu fassen.
Normenkette
AO § 146 Abs. 1 S. 2, § 162
Gründe
I.
Streitig ist die auf Grund einer beim Antragsteller durchgeführten Umsatzsteuersonderprüfung vorgenommenen Hinzuschätzung von Umsatzerlösen zu 19 % Umsatzsteuer in Höhe von ... € (netto).
Der Antragsteller betreibt einen Nutzfahrzeughandel .... Ein großer Teil seiner Kundschaft bezahlt den jeweiligen Kaufpreis per Banküberweisung. Einige Kunden bezahlten laut den vorliegenden Ausgangsrechnungen den Kaufpreis jedoch bar an den Antragsteller.
Der Antragsgegner führte beim Antragsteller eine Umsatzsteuersonderprüfung für den Prüfungszeitraum 1. Quartal 2018 durch.
In seinem Betriebsprüfungsbericht vom 28. März 2018 kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller im Prüfungszeitraum zwar erhebliche Bareinnahmen und -ausgaben erzielt bzw. getätigt habe, jedoch keine Kasseneinzelaufzeichnungen habe vorlegen können. Die Bareinnahmen seien buchhalterisch über verschiedene Konten gebucht worden. Belege über Entnahmen oder Verbindlichkeiten seien nicht zur Prüfung vorgelegt worden. Der Ansicht des Antragstellers, dass Bareinnahmen sofort seinem Privatvermögen zugeflossen seien, ohne dass es hierzu weiterer Aufzeichnungen bedürfe, werde nicht gefolgt. Vielmehr flössen beim bilanzierenden Handelsunternehmen alle baren und unbaren Einnahmen aus dem Geschäftsbetrieb zunächst dem Betriebsvermögen zu und es bedürfe eines aktiven Handelns des Inhabers, um diese dem Betriebsvermögen zu entnehmen. Darüber seien wiederum Aufzeichnungen zu führen, und zwar sowohl buchhalterischer Art als auch durch Anfertigen von Belegen über die vorgenommene Entnahmehandlung.
Zudem sei eine hohe Anzahl von bar vereinnahmten und verausgabten Beträgen nicht als Entnahmen und Einlagen, sondern über das Buchhaltungsskonto Nr. xxx "A Service" buchhalterisch erfasst worden. Über dieses aktive Bestandskonto, welches einen negativen Anfangsbestand am 1. Januar 2018 i.H.v. - ... € und einen negativen Bestand am 31. März 2008 i.H.v. - ... € ausgewiesen habe, seien Bareinnahmen aus Fahrzeugverkäufen ebenso erfasst worden wie Barausgaben für Fahrzeugeinkäufe, für Betriebsbedarf wie Kraftstoffe, Porto, Maut und Fahrzeugteile, aber auch Abgänge auf dem Konto für Bareinzahlungen auf dem Bankkonto. Bei dem Konto "A Service" handele es sich faktisch um ein buchhalterisches Aktivbestandskonto mit Bargeldbewegungen, ein sog. Kassenkonto, über das Einzelaufzeichnungen nach § 146 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) zu führen seien.
Es sei im Rahmen der Prüfung - auch mangels vorgelegter Einzelaufzeichnungen - nicht möglich gewesen, nachzuvollziehen, woher das auf dem Bankkonto eingezahlte Bargeld tatsächlich stamme. Notwendigerweise habe hierfür zuvor ein Bargeldzufluss im Aktivvermögen stattgefunden haben müssen, gegebenenfalls handele es sich um nicht erfasste Bareinnahmen. Einlagen aus dem Privatvermögen seien jedenfalls weder buchhalterisch erfasst worden, noch seien hierzu entsprechende Belege zur Prüfung vorgelegt worden. Daher sei es im Ergebnis nicht möglich, die in der Voranmeldung zur Umsatzsteuer für das 1. Quartal 2018 erklärten Umsätze i.H.v. ... € auf ihre Vollständigkeit hin zu überprüfen, sodass die Buchführung erhebliche formelle und materielle Mängel aufweise und daher nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden könne, sondern die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO zu schätzen seien.
Im Rahmen der von ihm angenommenen Schätzungsbefugnis erhöhte der Prüfer die erklärten steuerfreien und steuerpflichtigen Umsätze des Prüfungszeitraums i.H.v. ... € um 5 %, was einer Hinzuschätzung von ... € entspricht. Der hinzugeschätzte Umsatz wurde ausschließlich den steuerpflichtigen Umsätzen zu 19 % hinzugerechnet, sodass sich ein Mehr an Umsatzsteuer i.H.v. ... € ergab.
Der Antragsgegner erließ am 8. April 2019 unter Hinweis auf das Ergebnis der Umsatzsteuersonderprüfung einen geänderten Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das 1. Kalendervierteljahr 2018, in dem er das Ergebnis der Umsatzsteuersonderprüfung umsetzte. Gegen diesen Änderungsbescheid legte der Antragsteller fristgemäß Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Über den Einspruch hat der Antragsgegner bisher nicht entschieden. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner am 25. April 2019 ab, wogeg...