Entscheidungsstichwort (Thema)

Zollrecht / Abgabenordnung: Zinsen auf Abgaben, die ohne einen gerichtlich festgestellten Rechtsanwendungsfehler erstattet wurden

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der unionsrechtliche Zinsanspruch hat nicht zur Voraussetzung, dass der in Rede stehende Verstoß gegen das Unionsrecht entweder von einem nationalen Gericht oder vom Gerichtshof festgestellt worden ist.

2. Mit der Gewährung des Zinsanspruchs will das Unionsrecht seine eigene Wirksamkeit wiederherstellen. Für das Entstehen des unionsrechtlichen Zinsanspruchs kommt es deshalb nicht darauf an, ob der Verstoß gegen das Unionsrecht aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über den Streitgegenstand zwischen dem Wirtschaftsbeteiligten und der Zollverwaltung festgestellt worden ist.

3. Entscheidend ist allein, dass der Wirtschaftsbeteiligte aufgrund eines Rechtsanwendungsfehlers der Zollverwaltung, der nicht der Schnelligkeit des Zollabfertigungssystems geschuldet ist (Art. 116 Abs. 6 UZK), zu einer unionsrechtswidrigen Entrichtung von Abgaben herangezogen wurde.

4. Ein Verstoß gegen das Unionsrecht, der einen Anspruch auf Zahlung von Zinsen auslöst, kann auch im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens auf der ersten Stufe bei einer Zollbehörde (Art. 44 Abs. 2 lit. a) UZK) durch die Zollbehörde selbst festgestellt werden.

5. Entsprechend verhält es sich, wenn die Zollbehörde aufgrund eines richterlichen Hinweises im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens gegen die Abgabenfestsetzung die vom Wirtschaftsbeteiligten angefochtene Abgabenerhebung korrigiert und dem Wirtschaftsbeteiligten die von ihm entrichteten Abgaben erstattet.

6. Die Vorschrift des § 238 AO ist mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar.

 

Normenkette

UZK Art. 116; ZK Art. 241; AO § 238

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Zinsen für zu Unrecht festgesetzte Einfuhrabgaben.

Die Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin der A GmbH & Co. KG (im Folgenden: Firma A). Mit Bescheid vom 08.03.2016 setzte das beklagte Hauptzollamt gegenüber der Firma A Einfuhrabgaben wegen des angeblichen Missbrauchs einer Einfuhrlizenz in Höhe von 305.455,66 Euro fest, die die Firma A am 18.03.2016 entrichtete. Gegen den Einfuhrabgabenbescheid erhob die Firma A unter dem 10.03.2016 Einspruch, den das beklagte Hauptzollamt in der Folge nicht beschied. Am 27.03.2017 erhob die Firma A deshalb vor dem Finanzgericht Hamburg Untätigkeitsklage, die unter dem Az. 4 K 53/17 geführt wurde.

Mit Erstattungsbescheid vom 09.09.2019 hob das beklagte Hauptzollamt den Einfuhrabgabenbescheid vom 08.03.2016 unter Hinweis darauf auf, dass sich die Firma A nach Art. 220 Abs. 2 lit. b) ZK auf Vertrauensschutz berufen könne. Daraufhin erklärten die Beteiligten des Verfahrens 4 K 53/17 den Rechtsstreit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt. Die Abgaben wurden der Firma A am 11.09.2019 erstattet.

Mit Schreiben vom 26.11.2019 beantragte die Firma A beim beklagten Hauptzollamt die Gewährung von Zinsen für den Zeitraum von der Entrichtung der Einfuhrabgaben bis zu deren Erstattung.

Da eine Bescheidung des Antrags der Firma A durch das beklagte Hauptzollamt in der Folge ausblieb, hat die Firma A am 15.02.2021 Klage erhoben. Sie meint, der von ihr geltend gemachte Zinsanspruch ergebe sich aus den europäischen Grundsätzen über die Rückforderung rechtsgrundlos entrichteter Beträge. Der Europäische Gerichtshof habe in seinem jüngsten Urteil vom 28.04.2022 (C-415/20)bekräftigt, dass der Wirtschaftsbeteiligte gegen den betreffenden Mitgliedstaat nicht nur einen Anspruch auf Erstattung der unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Abgaben, sondern auch einen Anspruch auf Zinsen habe, um die Nichtverfügbarkeit des Geldbetrages auszugleichen. Diese Ansprüche seien nicht auf bestimmten Fallgruppen beschränkt, sondern erfassten alle Fallgestaltungen, in denen unter Verstoß gegen das Unionsrecht Abgaben erhoben worden seien.

Die Klägerin beantragt,

das beklagte Hauptzollamt zu verpflichten, ihr auf ihren Antrag 26.11.2019 Zinsen in Höhe von 0,5% pro Monat auf einen Betrag in Höhe von 305.455,66 Euro für den Zeitraum vom 18.03.2016 bis zum 11.09.2019 zu zahlen.

Das beklagte Hauptzollamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es verweist darauf, dass der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil erkannt habe, dass ein unionsrechtlicher Zinsanspruch nur bestehe, wenn Einfuhrabgaben aufgrund eines gerichtlich festgestellten Rechtsanwendungsfehlers zu erstatten seien. Es müsse eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über den Streitgegenstand der Verfahrensbeteiligten ergangen sein. Vorliegend sei das Verfahren 4 K 53/17 nicht aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung, sondern infolge übereinstimmender Erledigungserklärungen der Beteiligten abgeschlossen worden. Dass die Abhilfe letztlich darauf zurückzuführen sei, dass der Berichterstatter des Verfahrens 4 K 53/17 den Hinweis gegeben habe, dass er das Urteil des FG München vom 25.10.2018 (14 K 3071/16), das einen vergleichbaren Sachverhalt anderer Verfahrensbeteiligter betroffen habe, im Ergebnis ...

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