Entscheidungsstichwort (Thema)
Zollrecht: Vertrauensschutz bei Nacherhebung
Leitsatz (amtlich)
Begehrt ein Abgabenschuldner Vertrauensschutz gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b) ZK gegen die Nacherhebung von Einfuhrabgaben in einem Fall, in dem die zuständige Behörde des Drittstaats bei einer nachträglichen Prüfung nicht überprüfen kann, ob das von ihr ausgestellte Ursprungszeugnis auf einer richtigen Darstellung der Fakten seitens des Ausführers beruht, weil Letzterer seine Produktion eingestellt hat, trägt der Abgabenschuldner die Beweislast dafür, dass das Ursprungszeugnis auf der Grundlage einer richtigen Darstellung beruht (im Anschluss an EuGH-Urteil vom 08.11.2011, C-438/11).
Normenkette
ZK Art. 220 Abs. 1, 2 Buchst. b)
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Nacherhebung von Einfuhrabgaben durch das beklagte Hauptzollamt und macht Vertrauensschutz geltend.
1. Die Klägerin ließ in der Zeit von Februar 2007 bis September 2007 mit 11 Zollanmeldungen Schuhe in den zollrechtlich freien Verkehr der Europäischen Union überführen. Als Versender war jeweils angegeben die "A Co. Ltd, Taiwan" (im Folgenden A), als Empfänger die Klägerin. Die Klägerin beantragte die Präferenzbehandlung unter Vorlage von Ursprungszeugnissen, die auf dem Formblatt A ausgestellt waren. Die sieben vorgelegten Ursprungszeugnisse wiesen in zwei Fällen die Fa. B ..., Macau (Anmeldungen vom 06.02.2007) und im Übrigen die Firma C, Macau, als Hersteller und Macau als Ursprungsland aus.
Das beklagte Hauptzollamt akzeptierte die beantragte Präferenzbehandlung und erhob jeweils lediglich den Präferenzzoll auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 980/2005 des Rates vom 27.06.2005 über ein Schema allgemeiner Zollpräferenzen.
Das beklagte Hauptzollamt veranlasste die Einleitung von Nachprüfungsersuchen gemäß Art. 94 Zollkodex-Durchführungsverordnung (ZK-DVO), nachdem es Hinweise erhalten hatte, dass bei der Einfuhr bestimmter Waren mit Ursprung in China zu Unrecht Macau als Ursprungsland angeben werde, um eine zusätzliche Einfuhrabgabe zu umgehen. Die zuständige Behörde in Macau bestätigte dem Beklagten, dass die eingereichten Ursprungszeugnisse von ihr stammten. Auf weitere Nachfrage der deutschen Behörden teilte sie jedoch mit, die inhaltliche Richtigkeit der ausgestellten Bescheinigungen nicht mehr überprüfen zu können, weil die in den Ursprungszeugnissen vom Ausführer als Hersteller Genannten ihre Produktion eingestellt und ihren Betrieb geschlossen hätten; die von der Klägerin vorgelegten Ursprungszeugnisse wurden von der Behörde in Macau allerdings nicht für ungültig erklärt.
Mit drei Einfuhrabgabenbescheiden vom 21., 22. bzw. 25.08.2008 erhob das beklagte Hauptzollamt daraufhin unter Hinweis auf Art. 220 Abs. 1 Zollkodex (ZK) die Differenz zwischen dem Präferenzzollsatz (3,5%) und dem regulären Zollsatz (7%) mit der Begründung, dass eine nachträgliche Überprüfung der Präferenznachweise keine Bestätigung des angegebenen Ursprungs der Waren ergeben habe.
2. Die Klägerin hat nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage erhoben, die am 25.02.2010 bei Gericht eingegangen ist und in der sie sich vor allem auf Vertrauensschutz nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b) ZK beruft. Die Schließung der Herstellungsbetriebe und die dadurch bedingte Nichtnachprüfbarkeit der Präferenznachweise stellten für sie als Einführer ein unvorhersehbares Ereignis und einen Akt höherer Gewalt dar. Die Betriebsschließungen seien durch die Ausweitung der Antidumpingmaßnahmen auf die aus Macau versandten Waren verursacht oder doch befördert worden. Ihre Folgen habe sie trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht vermeiden können.
3. Auf ein Vorabentscheidungsersuchen des erkennenden Gerichts vom 22.06.2011 (zum seinerzeitigen Aktenzeichen 4 K 42/10) entschied der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Urteil vom 08.11.2012 (C-438/11), dass Art. 220 Abs. 2 Buchst b) ZK so auszulegen ist, dass in Fällen, in denen die zuständige Behörde des Drittstaats deswegen nicht nachträglich überprüfen kann, ob das von ihr ausgestellte Ursprungszeugnis auf einer richtigen Darstellung der Fakten seitens des Ausführers beruht, weil die Produktion im Drittland zwischenzeitlich eingestellt wurde, der Abgabenschuldner beweisen muss, dass dieses Zeugnis auf der Grundlage einer richtigen Darstellung der Fakten seitens des Ausführers beruht.
4. Die Klägerin verfolgt ihr Klageziel auch nach Erlass des Urteils des EuGH weiter. Die Klägerin vertritt die Ansicht, dass mit der Entscheidung des EuGH die in Art. 220 Abs. 2 Buchst. b) ZK vorgesehene Beweislast umgekehrt werde. Deswegen und wegen der faktischen Unmöglichkeit, nach einer Schließung des Lieferbetriebs nachträgliche, aber gleichwohl aussagekräftige und eindeutige Beweismittel zu erlangen, dürften keine zu hohen Anforderungen an die Beweisführung des Abgabenschuldners gestellt werden, insbesondere wenn ihm - wie hier der Klägerin - kein Vorwurf unredlichen Verhaltens gemacht werde. Zu berücksichtigen sei auch, dass die vom EuGH angesprochene Mö...