Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsschutzkontrollgesetz - GSA Fleisch: Fremdpersonalverbot und Kooperationsverbot des GSA Fleisch in der Fassung des Arbeitsschutzkontrollgesetzes - Anwendung, Verfassungs- und Unionsrechtskonformität
Leitsatz (amtlich)
1. Das Kooperationsverbot des § 6a Abs. 1 GSA Fleisch und das Fremdpersonalverbot des § 6a Abs. 2, 3 GSA Fleisch begegnen keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen oder unionsrechtlichen Bedenken.
2. Die Vorschriften verletzen nicht das Grundrecht der Werkvertragsunternehmer, Verleihunternehmer und Leiharbeiter auf freie Berufsausübung aus Art. 12 Abs. 1 GG. Ebenso wenig ist eine Verletzung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG zu erkennen.
3. Auch die Betriebe der Fleischwirtschaft als Entleiher sind nicht in ihren Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsausübungsfreiheit) bzw. aus Art. 2 Abs. 1 GG (Handlungsfreiheit auf wirtschaftlichem Gebiet) verletzt.
4. Die im Streitfall anzuwendenden Vorschriften des GSA Fleisch verstoßen weder gegen die Leiharbeits- (RL 2008/104/EG), Dienstleistungs- (RL 2006/123/EG) oder Entsenderichtlinie (RL 96/71/EG) noch gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV), die Dienstleistungs- (Art. 56 AEUV) oder die Unternehmerfreiheit (Art. 16 GrCh).
5. In Anwendung von § 6 Abs. 9 AEntG unterhält die Klägerin an ihrem Produktionsstandort zumindest eine selbstständige Betriebsabteilung der Fleischwirtschaft im Sinne des § 2 Abs. 1 GSA Fleisch, denn sie verarbeitet im Sinne des § 6 Abs. 9 AEntG Fleisch, um damit Nahrungsmittel herzustellen.
6. Die Klägerin unterhält keinen Mischbetrieb und ist deshalb nicht nach dem Überwiegensprinzip des AEntG zu beurteilen.
Normenkette
GSA Fleisch § 2 Abs. 1, § 6a Abs. 1-2; AEntG § 6 Abs. 9; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1; RL 2008/104/EG; RL 2006/123/EG; RL 96/71/EG; AEUV Art. 45, 56; GRC Art. 16
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie nicht als Betrieb der Fleischwirtschaft dem Direktanstellungsgebot und Kooperationsverbot nach dem Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) unterfällt.
Die Klägerin unterhält vier Standorte. An ihrem Standort in A stellt die Klägerin sog. Convenience-Produkte wie Chicken Nuggets und Schnitzel her. Auf dem Betriebsgelände ist zudem ihre Tochtergesellschaft B GMBH & CO. KG (im Folgenden: B) tätig.
Der Produktionsprozess der Klägerin beginnt mit der Rohwarenannahme, bezüglich der eine stichprobenartige Kontrolle durchgeführt wird. Im anschließenden Auspackbereich wird die angelieferte Tiefkühlware auf Auftauwägen gelegt und in den Auftauraum verbracht. Die aufgetaute Tiefkühlware sowie die angelieferte frische Ware werden sodann ausgepackt, in Vemag-Wägen gelegt und zur Weiterverarbeitung in den Schneideraum transportiert, wo die Ware sortiert und geschnitten wird. Im anschließenden Produktionsschritt des Tumblers werden den Fleischteilen Marinade und Gewürze zugefügt, bevor das Fleisch teilweise in einen brätartigen Zustand zu Fleischmasse verarbeitet wird. An den folgenden Veredelungslinien wird Ware veredelt, d.h. zu Schnitzeln und Chicken Wings verarbeitet. An den Veredelungsbereich schließt sich der Frosterbereich an, wo die Produkte gefrostet werden, bevor sie im High Risk Bereich auf eine Verpackungslinie kommen; dort werden die Produkte automatisch in einen Beutel abgepackt und luftdicht verschlossen.
Die im Beutel verschlossenen Produkte gelangen sodann über ein Förderband in die Abteilung Verpackung. Hier werden die Produkte kartoniert, zum Teil in Transportbehältern zwischengelagert, aber auch in verschlossenen Kartons zum Lager oder zur Palettierung befördert.
Der Standort in A verfügt zudem über ein Tiefkühl- und Hilfs-/Betriebsstofflager, eine Abteilung Verwaltung, eine Werkstatt sowie eine Qualitätssicherung.
Am 18. August 2021 hat die Klägerin Klage erhoben.
Die von ihr erhobene Feststellungsklage sei zulässig, was sich insbesondere aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Dezember 2020 (1 BvQ 165/20) und der Eilentscheidung des erkennenden Senats vom 20. Mai 2021 (4 V 33/21) ergebe.
Die Klage sei auch begründet. Der Standort in A sei zumindest eine selbstständige Betriebsabteilung im Sinne des § 6 Abs. 9 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG). Der Standort sei räumlich, personell und organisatorisch von ihren übrigen Produktionsstandorten abgegrenzt und verfüge über einen eigenen Betriebsleiter. Dieser teile die bei ihr - der Klägerin - angestellten Arbeitnehmer zur Arbeit ein und entscheide zusammen mit dem für alle Standorte zuständigen Personalleiter über das Bestehen der Arbeitsverhältnisse. Der Betriebsleiter sei der Verwaltungsgesellschaft am Hauptsitz in A unterstellt, die eine zentrale Dispositionsstelle habe und über die grobe Organisation der Abläufe entscheide. Der Standort verfüge über eigene technische Betriebsmittel und verfolge einen eigenen Betriebszweck, nämlich das Inverkehrbringen von Nahrungsmitteln an den Endverbraucher. Lediglich 5% der...