rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass von Steuern nach Nichtigerklärung der Rechtsgrundlage durch das BVerfG
Leitsatz (amtlich)
§ 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG verbietet grundsätzlich die Korrektur bestandskräftiger Steuerbescheide über § 227 AO.
Normenkette
EStG 1997 § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1b; AO § 227; BVerfGG § 79 Abs. 2
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Voraussetzungen für den Erlass von Einkommensteuer für die Jahre 1997 und 1998 aufgrund der vom Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 09. März 2004 festgestellten und auf Veräußerungsgeschäfte bei Wertpapieren beschränkten Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG in der für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 geltenden Neufassung des Einkommensteuergesetzes vom 16.04.1997 (BGBl I Seite 821), erfüllt sind.
Die Kläger erzielten in den Streitjahren durch die Veräußerung von Wertpapieren Einkünfte aus Spekulationsgeschäften. Diese betrugen im Jahr 1997 98.073 DM und im Jahr 1998 732.561 DM und wurden von den Klägern in ihren Einkommensteuererklärungen entsprechend der in den Streitjahren gültigen Fassung des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes vom 16.04.1997 (Bundesgesetzblatt I Seite 821) - EStG 1997 - angegeben. Erklärungsgemäß setzte der Beklagte mit Bescheiden vom 11.02.1999 für 1997 und vom 15.03.2000 für 1998 die Einkommensteuer für 1997 auf ... DM sowie für 1998 auf ... DM fest. Die Bescheide ergingen jeweils vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 AO hinsichtlich der Nichtabziehbarkeit privater Schuldzinsen und wurden bestandskräftig.
Der Einkommensteuerbescheid für 1998 wurde am 20.09.2000 durch den Beklagten aufgrund eines Feststellungsbescheides über Beteiligungserträge gem. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO geändert und die Einkommensteuer 1998 auf ... DM festgesetzt. Gegen den geänderten Bescheid legten die Kläger Einspruch ein. Daraufhin änderte der Beklagte nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG 1997 für die Veranlagungszeiträumen 1997 und 1998 und im Rahmen des § 351 Abs. 1 AO den Einkommensteuerbescheid für 1998 erneut und setzte mit Bescheid vom 06.07.2004 die Einkommensteuer 1998 wieder auf ... DM fest; dabei legte er sonstige Einkünfte aus Spekulationsgewinnen in Höhe von 727.201 DM zugrunde.
Mit Schreiben vom 27.4.2004 beantragten die Kläger, die Einkommensteuer 1997 und 1998 aus Gründen der sachlichen Billigkeit abweichend festzusetzen oder zu erlassen, soweit die Einkommensteuer auf Spekulationsgewinne festgesetzt worden war (§§ 163, 227 AO). Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 10.5.2004 ab. Zur Begründung verwies er auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 19.3.2004 (- IV D 2 - S 0338 - 11/04 -, BStBl I 2004, 361), wonach § 79 Abs. 2 BVerfGG die Annahme einer sachlichen Unbilligkeit im Sinne des §§ 163, 227 AO verbiete.
Hiergegen legten die Kläger am 07.06.2004 Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 09.02.2005 u.a. deshalb als unbegründet zurückwies, weil es den Klägern nicht unzumutbar gewesen sei, sich gegen die Fehlerhaftigkeit der Steuerbescheide rechtzeitig zu wehren. Mangelnde Zumutbarkeit liege nicht bereits deshalb vor, weil die Einlegung von Rechtsbehelfen im Hinblick auf eine - später geänderte - höchstrichterliche Rechtsprechung oder wegen entschuldbarer Rechtsunkenntnis unterblieben sei. Grundsätzlich sei es Sache des Steuerpflichtigen, seine Rechte durch Einlegung von Rechtsbehelfen zu wahren. Eine hiervon abweichende Korrektur im Billigkeitswege könne nur in besonderen Ausnahmefällen erfolgen, worunter eine geänderte Rechtsauffassung oder Gesetzesinterpretation nicht falle.
Die Kläger haben mit Schreiben am 10.03.2005 Klage erhoben.
Die Kläger tragen vor, dass der grundsätzliche Ausschluss des § 227 AO durch § 79 Abs. 2 BVerfGG im Streitfall eine Ausnahme erfahren müsse, denn die Steuerfestsetzung sei offensichtlich und eindeutig unrichtig. Sie hätten aus ihnen nicht anzulastenden Gründen keinen Rechtsbehelf gegen die Steuerfestsetzung eingelegt.
Eine Einkommensteuerfestsetzung auf Spekulationsgewinne aus Wertpapiergeschäften habe aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 09. März 2004 offensichtlich und eindeutig nicht erfolgen dürfen. Es könne ihnen nicht angelastet werden, dass sie bis zum Ablauf der für die Einkommensteuerbescheide 1997 und 1998 maßgeblichen Rechtsbehelfsfristen keinen Einspruch eingelegt hätten.
Für sie sei es nicht absehbar gewesen, dass das Bundesverfassungsgericht die Besteuerung aufgrund eines Erhebungsdefizits für verfassungswidrig erklären würde, denn Grundlage für die Feststellung des Erhebungsdefizits seien - ausweislich der Entscheidungsgründe des Bundesverfassungsgerichts - der Bericht des Bundesrechnungshofs vom 24.02.2002 sowie der Jahresbericht 2002 des Niedersächsischen Landesrechnungshofs, die beide erst im Jahre 2002 bzw. 2003 ver...