Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgabenordnung: Berichtigung wegen offensichtlicher Unrichtigkeit bzw. neuer Tatsachen
Leitsatz (amtlich)
- Die Vorlage einer Kinderfreibeträge ausweisenden Lohnsteuerbescheinigung mit der Steuererklärung rechtfertigt keine Berichtigung eines Bescheids wegen offenbarer Unrichtigkeit, wenn in dem Mantelbogen keine Angaben zu Kindern gemacht wurden und Anlagen Kind nicht eingereicht wurden.
a) Aus den Steuerakten des laufenden Jahres oder des unmittelbaren Vorjahres erkennbare Tatsachen sind i. S. v. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO bekannt.
b) Im Rahmen von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO hat das Verhalten des Finanzamts bei der Würdigung des groben Verschuldens des Steuerpflichtigen jedenfalls dann außer Betracht zu bleiben, wenn ein Steuerpflichtiger eine Änderung der Steuerfestsetzung zu seinen Gunsten begehrt.
Normenkette
AO §§ 129, 173 Abs. 1 Nr. 2
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Änderbarkeit der Einkommensteuerveranlagung für 2007 zugunsten der Kläger.
Die miteinander verheirateten Kläger werden gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist von Beruf ... und erzielte im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Kläger haben 2 gemeinsame, im Jahr ... bzw. ... geborene Kinder. Der am 22.09.2008 über die Prozessbevollmächtigten eingereichten Steuererklärung für das Streitjahr 2007 waren anders als den Steuererklärungen für die Vorjahre 2004 - 2006 "Anlagen Kind" nicht beigefügt. Entsprechend enthielt der Mantelbogen der Erklärung in der Zeile 38 keine Angaben zu Kindern und keinen Hinweis auf eine "Anlage Kind". Der Erklärung waren 2 Ausdrucke elektronischer Lohnsteuerbescheinigungen zweier Arbeitgeber für 2007 beigefügt (vom 10.04.2007 für 01.03. - 31.03.2007 sowie vom 09.01.2008 für 01.01. - 31.12.2007). In der Bescheinigung vom 10.04.2007 waren Steuerklasse 3 und 2,0 Kinderfreibeträge notiert, in der Bescheinigung vom 09.01.2008 für den Zeitraum vom 01.03.2007 - 31.03.2007 Steuerklasse 6, für den Zeitraum vom 01.04.2007 - 31.12.2007 Steuerklasse 3 und 2,0 Kinderfreibeträge. In dem am 21.10.2008 ergangenen Einkommensteuerbescheid für 2007 (Lohnsteuerakte - LStA - I Bl. 22) berücksichtigte der Beklagte die Kinder weder durch Ansatz eines Kinderfreibetrags noch durch Hinweis auf das Ergebnis einer Günstigerprüfung. Entsprechendes gilt für den am 17.03.2009 gem. § 165 Abs. 2 S.1 Abgabenordnung (AO) in hier nicht streitiger Hinsicht durch Umsetzung des Beschlusses des BVerfG vom 09.12.2008 zur Entfernungspauschale zugunsten der Kläger ergangenen Änderungsbescheid für 2007 (LStA I Bl. 34).
Auch der Steuererklärung für das Jahr 2008 war ohne Hinweis auf Kinder in dem Mantelbogen eine Lohnsteuerbescheinigung mit Eintragung von 2,0 Kinderfreibeträgen beigefügt. Im Rahmen der Bearbeitung dieser Steuererklärung wies der Beklagte die Bevollmächtigten mit Schreiben vom 24.03.2010 und vom 25.05.2010 (LStA I Bl. 79 und 81) auf die fehlenden Anlagen Kind hin und bat um Erläuterung bzw. Nachreichung. Mit Schriftsatz vom 03.06.2010 übersandten die Bevollmächtigten der Kläger jeweils 2 "Anlagen Kind" für die Jahre 2007 - 2009 und baten um Berücksichtigung in den entsprechenden Jahren (LStA 38). Mit Schreiben vom 17.06.2010 (LStA I Bl. 47) teilte der Beklagte mit, dass angesichts der zwischenzeitlich eingetretenen Bestandskraft der Veranlagung für 2007 eine nachträgliche Berücksichtigung der Kinderfreibeträge nicht möglich sei. Mit am 12.07.2010 eingegangenem Schreiben vom 09.07.2010 beantragten die Kläger eine Änderung des Bescheids gem. § 129 AO (LStA I Bl. 51). Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22.07.2010 ab. Den am 28.07.2010 eingegangenen Einspruch der Kläger vom 27.07.2010 wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 01.04.2011 als unbegründet zurück. Für eine Änderung gem. § 129 AO fehle es an der notwendigen offenbaren Unrichtigkeit des Fehlers der unterbliebenen Berücksichtigung der Kinderfreibeträge. Hierauf haben die Kläger am 04.05.2011 Klage erhoben.
Die Kläger tragen vor: Der Bescheid vom 17.03.2009 sei offenkundig unrichtig i. S. v. § 129 AO. Der Beklagte habe eine offenkundige Unrichtigkeit der Steuererklärung der Kläger als eigene übernommen. Die Unrichtigkeit ergebe sich eindeutig aus den als Anlage eingereichten Lohnsteuerbescheinigungen und den hier notierten Kinderfreibeträgen. Insbesondere ergebe sich hieraus auch, dass die Voraussetzungen für die Berücksichtigungsfähigkeit der Kinder vorlägen. Dies folge aus § 39 Abs.3 S.1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG), wonach die Gemeinde auf der Lohnsteuerkarte, aus der Arbeitgeber die Daten für die elektronische Lohnsteuerbescheinigung übernehme, die Zahl der Kinderfreibeträge in den Steuerklassen I - IV für jedes unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Kind i. S. d. § 32 Abs.1 Nr. 1 und Abs.3 EStG einzutragen habe. Zu Erklärungen des Amtes darüber, welche Vorjahresangaben im Amt bei der Erfassung der Erklärung elektronisch sichtbar gemacht würden, aus denen der Bearbeiter Schlüsse hätten ziehen können...