Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld: Beginn einer Freiwilligentätigkeit im Rahmen des Europäischen Solidaritätskorps nicht bereits mit Vorbereitungsseminar im Inland
Leitsatz (amtlich)
1. Wird der Beginn einer Freiwilligentätigkeit des Kindes im Ausland im Rahmen des Europäischen Solidaritätskorps durch die Aufnahmeorganisation mehrfach über einen Zeitraum von insgesamt sieben Monaten verschoben, besteht während dieses Zeitraums kein Anspruch auf Kindergeld.
2. Das gilt auch, wenn innerhalb dieses Zeitraums im Inland Vorbereitungsseminare für die Freiwilligentätigkeit stattfinden.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. b, c, d Doppelbuchst. dd; EUVO 2021/888 Art. 2-3, 11-12, 33; EUVO 2018/1475 Art. 2-4, 9-10
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Kindergeld für seinen Sohn A (...), geboren am ... 2003, für den Zeitraum von August 2021 bis Februar 2022 hat.
A beendete seine Schulausbildung mit dem Abitur am 18. Juni 2021. Im Juli 2021 bewarb er sich für eine Freiwilligentätigkeit bei der Aufnahmeorganisation B UK, die junge Obdachlose unterstützt, in Großbritannien im Rahmen des Europäischen Solidaritätskorps (ESK). Die Entsendeorganisation C Verein für internationalen und interkulturellen Austausch (C e.V.) bestätigte mit Schreiben vom 4. August 2021, dass A voraussichtlich in der Zeit vom 15. September 2021 bis zum 14. September 2022 einen Freiwilligendienst bei B UK in London leisten werde. U.a. wegen fehlender Unterkünfte in London wurde der Beginn von B UK jedoch immer wieder verschoben.
In der Zwischenzeit nahm A an drei vorbereitenden Schulungen teil:
- vom 23. bis zum 26. August 2021 an einem obligatorischen Vorbereitungsseminar des C e.V. in Hamburg (über den Umgang mit der eigenen Motivation, Erwartungen, Ängsten oder Überforderung in Bezug auf den Freiwilligendienst, Methoden für den Umgang mit Konflikten und Krisen, Rahmenbedingungen eines geförderten Freiwilligendienstes, Versicherungsmodalitäten, Stadtrundgang zum Thema Obdachlosigkeit),
- am 17. September 2021 an einem Online-Treffen des C e.V. zur Vorbereitung und Begleitung des neuen Visumverfahrens für Großbritannien und
- am 8. November 2021 an einem Online-Mentorentraining durch B UK zum Arbeitsalltag vor Ort.
A schloss mit dem C e.V. und B UK einen Vertrag, der nur in nicht unterzeichneter Fassung vorliegt, in der bei der Unterschriftszeile für den C e.V. das Datum 2. März 2022 angegeben ist, und der u.a. folgende Bestimmungen enthält:
2.1 The agreement shall enter into force on the date when the last of the two parties signs.
2.2 the activity period shall start on 08/03/2022 and end on 30/10/2022.
(...)
4.1 (...) Sending Organisation responsibilities
Prior to departure of the volunteer
(...)
o Ensure that the volunteer attends one of the compulsory pre-departure training sessions;
ESC Volunteer Responsibilities
Prior the departure
(...)
o To attend a pre-daparture training course; (...).
Wegen des weiteren Inhalts wird auf den Vertrag Bezug genommen (...).
Vom 8. März 2022 bis zum 30. September 2022 leistete A den Freiwilligendienst im Rahmen des ESK in London, wie der C e.V. mit Schreiben vom 6. Oktober 2022 bestätigte.
Die Beklagte setzte zuletzt mit Bescheid vom 7. September 2021 Kindergeld für A ab Juli 2021 fest. Das Kindergeld wurde auf Anweisung des Klägers weiterhin an die getrennt lebende Mutter des Kindes ausgezahlt.
Mit Bescheid vom 14. März 2023 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung ab August 2021 bis einschließlich Februar 2022 auf und forderte das für diesen Zeitraum bereits gezahlte Kindergeld in Höhe von 1.533 € vom Kläger zurück mit der Begründung, dass A den Freiwilligendienst nicht angetreten und auch keinen Ausbildungsplatz gesucht habe.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 22. März 2023 Einspruch ein und trug vor, dass der Freiwilligendienst am 15. September 2021 begonnen habe, da A in Videokonferenzen geschult und vorbereitet worden sei. Nur die Übersiedlung nach London sei kurzfristig immer wieder zugesagt, aber dann doch verschoben worden, zuerst aufgrund von Problemen mit dem Visum und dann, weil die Aufnahmeorganisation coronabedingt keine Gastfamilie gefunden habe. A habe dennoch durchgehend bereit und unter Vertrag gestanden.
Mit Einspruchsentscheidung vom 9. Juni 2023, zur Post aufgegeben am 13. Juni 2023, wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. A habe seine schulische Ausbildung im Juli 2021 beendet und erst im März 2022 die kindergeldrechtlich berücksichtigungsfähige Freiwilligenaktivität im Rahmen des ESK aufgenommen. Zwischen den Ausbildungsabschnitten lägen demzufolge sieben Monate, sodass eine kindergeldrechtliche Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht möglich sei. Die Suche nach einem Freiwilligendienst bzw. die Wartezeit könne nicht berücksichtigt werden, da ein Freiwilligendienst keine Ausbildung sei. Auch die vorbereitenden Schulungen und Videokonferenzen ab September 2021 führten zu keiner kindergeldrechtlichen ...