Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollständiger Erlass von Säumniszuschlägen wegen verfassungsrechtlicher Zweifel an ihrer Höhe?
Leitsatz (amtlich)
Mögliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge können nicht im Billigkeitsverfahren auf vollständigen Erlass der kraft Gesetzes entstehenden Säumniszuschläge berücksichtigt werden.
Normenkette
AO §§ 227, 240
Tatbestand
Streitig ist der vollständige Erlass von Säumniszuschlägen (SZ).
Der Kläger ist mit Beschluss vom ... 2015 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der ... mbH bestellt worden. Gegenüber dem Beklagten bestanden erhebliche Steuerrückstände. Mit Schriftsatz vom 24. August 2018 bestritt der Kläger die vom Beklagten angemeldeten Forderungen zum Teil, weil keine nachvollziehbaren Belege oder Nachweise hierfür erbracht worden seien. Die Anmeldung von SZ sei im Übrigen zu bestreiten, weil dem Beklagten die Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin bekannt gewesen sei und demzufolge von der Geltendmachung von SZ abzusehen sei. Vorsorglich erbat der Kläger den Erlass der SZ.
Per 3. September 2018 hatte der Beklagte - nach einer Minderung - noch Forderungen in Höhe von 230.679,70 € zur Tabelle angemeldet, hiervon entfielen nach Erlass der Hälfte der SZ noch 1.421,25 € auf SZ. Einen weitergehenden Erlass lehnte der Beklagte unter dem 3. September 2018 unter Hinweis auf die gängige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ab, wonach die SZ auch den Zweck verfolgten, Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu sein sowie Verwaltungsaufwand abzugelten. Hiergegen richtete sich der Einspruch vom 12. September 2018. Obwohl ein Erzwingungszweck nicht mehr habe erreicht werden können, habe das Finanzamt versucht, zum Nachteil aller Insolvenzgläubiger und zu Gunsten eines Gläubigers die Schuldnerin zu Zahlungen anzuhalten. Ihr sei abverlangt worden, unter Verstoß gegen § 64 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) Zahlungen zu leisten. Mit Entscheidung vom 4. Oktober 2018 wies der Beklagte den Einspruch unter Hinweis auf die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung zurück. Die Haftungsnorm des § 64 GmbHG sei zudem nicht berührt, da die zivilrechtliche Haftungsbetrachtung nicht auf die Billigkeitsgründe durchschlage.
Am 5. Oktober 2018 hat der Kläger Klage erhoben. In formeller Hinsicht begehrt er eine vollständige und "ungefilterte" Vorlage der Akten ab dem Veranlagungszeitraum 2005. Ebenfalls seien möglicherweise vorhandene Betriebsprüfungsakten u.Ä. vorzulegen. In einem parallel gelagerten Fall habe das Finanzamt Hamburg-Am Tierpark u.a. einen Band Bilanz- und Bilanzberichtsakten und die Vollstreckungsakte vorgelegt, während der Beklagte nur eine Umsatzsteuer-Akte nebst einer Akte Allgemeines und Rechtsbehelfs-Akte vorgelegt habe.
In der Sache macht der Kläger unter Hinweis auf eine Entscheidung des Finanzgerichts (FG) München verfassungsrechtliche Zweifel an der Versagung eines vollständigen Erlasses der SZ geltend. SZ seien jedenfalls potenziell in Abhängigkeit zum Marktzins verfassungswidrig.
Die Schuldnerin sei zudem bereits seit dem 31. Dezember 2006 offenkundig überschuldet und spätestens seit Oktober 2005 zahlungsunfähig gewesen, weswegen die SZ ihren Zweck verfehlt hätten und nicht mehr vom Beklagten verfolgt werden dürften.
Der Kläger beantragt,
den ablehnenden Bescheid vom 3. September 2018 und die Einspruchsentscheidung vom 10. Oktober 2018 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die SZ in voller Höhe zu erlassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er nimmt auf seine Einspruchsentscheidung Bezug und weist im Übrigen darauf hin, dass nicht den Streitgegenstand betreffende Akten nicht vorgelegt würden.
Die die Schuldnerin betreffende Umsatzsteuer- und Rechtsbehelfs-Akte, ein Band Allgemeines sowie die Insolvenzakte des Amtsgerichts Hamburg haben vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Der zulässigen Klage bleibt der Erfolg versagt.
1. Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die SZ in voller Höhe zu erlassen.
Der Beklagte hat ermessensfehlerfrei nur die Hälfte der verwirkten SZ gem. § 227 AO wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Schuldners erlassen. Ein Anspruch auf den weitergehenden Erlass der SZ besteht nicht.
Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen auch Ansprüche auf SZ gehören (§ 37 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs.3 AO), ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gezogenen Grenzen nachprüfbar ist (Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972,603). Nach § 102 FGO ist die gerichtliche Prüfung des den Erlass ablehnenden Bescheides und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetz...