Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld: Kindergeldanspruch eines im Inland nichtselbstständig tätigen portugiesischen Staatsangehörigen bei Haushaltsaufnahme des Kindes bei einem Pflegevater in Portugal
Leitsatz (amtlich)
1. Einem in Deutschland im Angestelltenverhältnis erwerbstätigen portugiesischen Staatsangehörigen steht für sein in Portugal bei einem Pflegevater lebende Tochter Kindergeld zu.
2. Der Anwendungsbereich der VO(EG) Nr. 883/2004 und der VO(EG) Nr. 987/2009 ist nicht eröffnet, wenn - wie im Streitfall - dem Pflegevater in Portugal kein Anspruch auf Familienleistungen zusteht.
3. Der in Portugal lebende Pflegevater ist weder nach §§ 62 ff. EStG noch nach § 1 BKGG Kindergeldberechtigter und kann damit auch nicht vorrangig Berechtigter gemäß § 64 EStG sein.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 3, § 64 Abs. 2; VO(EG) Nr. 883/2004 Erwägungsgründe (35); EGV 883/2004 Art. 1 Buchst. i, Art. 11 Abs. 1, 3; VO(EG) Nr. 883/2004 Art. 67; VO(EG) Nr. 883/2004 Art. 68; EGV 987/2009 Art. 60 Abs. 1; BKGG § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 2 S. 1
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Kindergeld für die in Portugal lebende Tochter des Klägers.
Der Kläger ist portugiesischer Staatsangehöriger und hat seinen ständigen Wohnsitz in Hamburg. Er ist hier nichtselbstständig beschäftigt und unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Am 05.03.2010 beantragte er die Gewährung von Kindergeld für seine in Portugal lebende Tochter A, geb. ... 1997. Die Tochter lebt in B/Portugal bei einem Onkel (Pflegevater) in dessen Haushalt und geht dort zur Schule. Ihre in Afrika in C lebende Mutter ist nicht erwerbstätig und zahlt keinen Unterhalt für die Tochter. Der Pflegevater hat in Portugal keinen Anspruch auf Familienleistungen für die Tochter des Klägers.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 04.11.2010 mit der Begründung ab, das Kind lebe nicht im Haushalt des Klägers und auch nicht im Haushalt der Kindesmutter. Der vom Kläger am 19.11.2010 eingelegte Einspruch blieb gemäß Einspruchsentscheidung vom 04.08.2011 erfolglos.
Der Kläger hat am 01.09.2011 Klage erhoben. Im Verlauf des Rechtsstreits hat die Beklagte mit Bescheid vom 09.11.2011 Kindergeld für die Monate März und April 2010 gewährt. Insoweit haben die Beteiligten die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt und ist das Verfahren abgetrennt worden, so dass Streitgegenstand nur noch die Kindergeldgewährung ab Mai 2010 ist.
Der Kläger ist der Auffassung, ihm sei Kindergeld gem. §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 63 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG - i. V. m. § 32 Abs. 1 EStG zu gewähren. Die Prioritätsregelungen gem. Art. 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit - Grundverordnung (zu dieser Bezeichnung vgl. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 - Durchführungsverordnung -) - seien nicht anwendbar, weil keine Familienleistungen nach den Vorschriften eines anderen Mitgliedstaates, insbesondere nach den Vorschriften Portugals, zu gewähren sind. Der Wohnsitz der Tochter in Portugal sei gemäß § 63 Abs. 1 S. 3 EStG nicht schädlich. Weitere vorrangige Anspruchsberechtigte gemäß § 64 EStG seien nicht vorhanden. Weder der Cousin des Klägers (Onkel der Tochter, Pflegevater) noch die Kindesmutter seien gem. § 62 EStG Kindergeldberechtigte. Die fehlende Haushaltsaufnahme beim Kläger sei daher kein Hindernis für die Kindergeldgewährung. Der Anspruch bestehe auch unter Berücksichtigung von Art. 67 Grundverordnung. Die Auffassung des Beklagten, Kindergeld sei an den in Portugal lebenden Cousin des Klägers zu zahlen, überzeuge nicht. Insbesondere bestehe für ihn kein Anspruch auf Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz - BKGG -.
Der Kläger beantragt,
1. den Bescheid vom 04.11.2010 und die Einspruchsentscheidung vom 04.08.2011 aufzuheben und
2. die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger für sein Kind A ab 01.05.2010 Kindergeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist auf die ab Mai 2010 anzuwendende Grundverordnung und die Durchführungsverordnung dazu und die darin getroffenen koordinierenden Zuständigkeitsregeln. Unter Anknüpfung an Art. 67 Grundverordnung, wonach Familienleistungen so gewährt werden müssen, als ob die Familienangehörigen in Deutschland wohnten, sei darauf abzustellen, wer anspruchsberechtigt sei, wenn auch der Pflegevater in Deutschland wohnen würde. Da er das Kind in seinen Haushalt aufgenommen habe, sei er nach § 1 BKGG i. V. m. Art. 67,68 Grundverordnung und Art. 60 Abs. 1 S. 2 Durchführungsverordnung anspruchsberechtigt. Dies gelte insbesondere auch unter Heranziehung der im Urteil des EuGH in der Rechtssache Slanina, C-363-08 formulierten Grundsätze.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin zugestimmt und auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Auf das Protokoll des Erörterungstermins vom 26.01.2012 wird Bezug genommen.
Dem Gericht hat die Kindergeldakte der Beklagten bezüglich...