Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollziehung von nach § 27 Abs. 19 UStG geändertem USt-Bescheid
Leitsatz (redaktionell)
1) Die vorzunehmende Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung der streitgegenständlichen Bescheide und dem individuellen Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes fällt im Streitfall zu Lasten des Antragstellers aus. Das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung sowie an dem Vollzug eines ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes überwiegt das Interesse des Antragstellers, dass alleine darin besteht, die bereits gezahlte Umsatzsteuer - im Ergebnis - vorläufig wieder erstattet zu bekommen.
2) Der beschließende Senat sieht ganz erhebliche Risiken für die öffentlichen Haushalte, sofern nach § 27 Abs. 19 UStG geänderte Umsatzsteuerbescheide wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift von der Vollziehung ausgesetzt werden.
Normenkette
AO § 176 Abs. 2; UStG § 27 Abs. 19
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Aussetzung der Vollziehung von nach § 27 Abs. 19 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) geänderten Umsatzsteuerbescheiden; der Antragsteller bezweifelt die Verfassungsmäßigkeit des § 27 Abs. 19 UStG und beruft sich auf Vertrauensschutz gemäß § 176 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO).
Der Antragsteller ist umsatzsteuerlicher Organträger der A GmbH i.L. Die Organgesellschaft erbrachte in den Streitjahren 2011 bis 2013 unstreitig Bauleistungen (…) im Sinne des § 13b UStG gegenüber der Firma B GmbH sowie im Jahr 2012 gegenüber der Firma C Immobilien GmbH, zwei Bauträgergesellschaften. Die – nach seinem Vorbringen standardisierten – Werkverträge zwischen dem Antragsteller und den beiden Leistungsempfängern enthielten jeweils die Klausel:
„Der Auftraggeber [=Leistungsempfänger] erklärt, dass er selbst Bauleistender im Sinne des § 13b UStG ist. Der Auftragnehmer [=Antragsteller bzw. Organgesellschaft] wird daher in seinen Rechnungen keine Umsatzsteuer ausweisen und zusätzlich in den Rechnungen folgenden Hinweis aufnehmen: „Die Umsatzsteuer für die in Rechnung gestellte umsatzsteuerpflichtige Werklieferung schuldet der Auftraggeber nach § 13b UStG.””
Die vereinbarten Entgelte („Vertragssummen”) wurden als Netto-Beträge bezeichnet; es handelte sich um „Festpreise für die Dauer der gesamten Ausführungszeit”. Wegen der Einzelheiten wird auf die zur Glaubhaftmachung vorgelegten Verträge vom 18./30. April 2012 und vom 21. Dezember 2012 (Bl. 40 ff. d.A.) verwiesen.
Der Antragsteller meldete in der Folgezeit keine Umsatzsteuer aus den Werklieferungen gegenüber der B GmbH und der C Immobilien GmbH an; diese führten die entsprechende Umsatzsteuer ab.
Das für die B GmbH örtlich zuständige Finanzamt D übersandte dem Antragsgegner am 2. September 2014 eine Kontrollmitteilung, wonach der Antragsteller gegenüber der B GmbH Lieferungen erbracht und die B GmbH nunmehr die Erstattung der darin enthaltenen Umsatzsteuer beantragt habe. Später bezifferte das Finanzamt D die Netto-Entgelte auf 65.872,38 € (2011), 90.601,17 € (2012) und 130.177,38 € (2013).
Der Antragsgegner wandte sich daraufhin am 18. September 2014 an den Antragsteller und wies auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 22. August 2013 (V R 37/10, BStBl II 2014, 128) hin. Da die B GmbH die Erstattung der Umsatzsteuer beantragt habe, bedeute dies für die Organgesellschaft, dass diese als leistender Unternehmer Steuerschuldner gemäß § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG sei. Sie sei verpflichtet, Rechnungen auszustellen, die den anzuwendenden Steuersatz und den Steuerbetrag auswiesen sowie die geschuldete Umsatzsteuer anzumelden. Eine Änderung von Umsatzsteuerfestsetzungen erfolge nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG, die Vertrauensschutzregelung des § 176 Abs. 2 AO stehe dem gemäß § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG nicht entgegen. Die Organgesellschaft könne – unter den näher bezeichneten Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 Sätze 3 und 4 UStG – ihre Steuerschuld durch Abtretung ihres sich aus den geänderten Rechnungen ergebenden zivilrechtlichen Zahlungsanspruchs gegenüber der B GmbH an den Antragsgegner erfüllen.
Am 17. November 2014 übersandte das für die C Immobilien GmbH ebenfalls örtlich zuständige Finanzamt D eine entsprechende Kontrollmitteilung an den Antragsgegner (2011: 45.050,33 €; USt: 6.559,57 €). Der Antragsgegner forderte den Antragsteller am 16. Dezember 2014 auch hinsichtlich dieser Umsätze zur Ausstellung von korrigierten Rechnungen und zur Anmeldung der Umsatzsteuer auf.
Mit Schreiben vom 6. und 7. Januar 2015 wandte der Antragsteller ein, dass § 27 Abs. 19 UStG wegen Verstoßes gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) folgenden Rückwirkungsverbots nichtig sei und berief sich auf § 176 AO. Nach damals gültiger Rechtslage seien richtigerweise Netto-Rechnungen gestellt worden.
Am 26. März 2015 erließ der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller als Organträger der A GmbH i.L. nach § 27 Abs. 19 UStG geänderte Bescheide, in denen er die Umsätze g...