Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzugsbeschränkung von Vorsorgeaufwendungen bei beschränkt Steuerpflichtigen europarechtswidrig?
Leitsatz (redaktionell)
Es ist zweifelhaft, ob § 50 Abs. 1 Satz 3 EStG in der im VZ 2008 geltenden Fassung, welcher einen Sonderausgabenabzug von Altersvorsorgebeiträgen nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG 2008 für beschränkt Steuerpflichtige ausschließt (vorliegend Pflichtbeiträge zu einer berufsständischen Altersvorsorgeeinrichtung, Zusatzbeiträge an eine berufsständische Altersvorsorgeeinrichtung, Beiträge im Rahmen einer privaten Rentenversicherung), mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist.
Normenkette
EStG 2008 § 10 Abs. 1 Nr. 2; AEUV Art. 49, 54; EStG § 1 Abs. 4; EStG 2008 § 50 Abs. 1 S. 3
Nachgehend
Tatbestand
I.
Ausgangssachverhalt
1. Die Beteiligten streiten im Rahmen der Festsetzung der deutschen Einkommensteuer 2008 über die Frage, ob Rentenbeiträge (Altersvorsorgeaufwendungen) des in Belgien wohnhaften Klägers zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte Nordrhein-Westfalen und zu einer privaten Rentenversicherung in Deutschland im Rahmen einer beschränkten Steuerpflicht steuermindernd als Sonderausgaben berücksichtigt werden können. Hierbei ist zweifelhaft, ob § 50 Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der im Veranlagungszeitraum 2008 geltenden Fassung, welcher einen Sonderausgabenabzug der Altersvorsorgebeiträge § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG 2008 für beschränkt Steuerpflichtige ausschließt, mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist.
2. Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. Im Streitjahr hatte er seinen alleinigen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Belgien. Er war in Belgien als Rechtsanwalt bei einer international tätigen Kanzlei in der Rechtsform einer LLP (Limited Liability Partnership; Personengesellschaft nach britischem Recht) tätig und an dieser gesellschaftsrechtlich beteiligt. Aus dieser Tätigkeit als „Equity Partner” erzielte er selbständige (freiberufliche) Einkünfte gem. § 18 EStG 2008, welche in einem – zwischen den Beteiligten nicht im Streit stehenden – Feststellungs- und Verteilungsverfahren verschiedenen Staaten zugeordnet werden. Von dem „weltweiten Nettogewinn”, welcher dem Kläger im Rahmen seiner Beteiligung an der LLP und der Tätigkeit für diese zugerechnet wurde, entfiel ein Anteil von ca. 54 % auf die in Deutschland (als Quellenstaat) erzielten Einkünfte, ein Anteil von ca. 6,3 % auf die in Belgien (als Quellenstaat; zugleich derzeitiger Wohnsitzstaat des Klägers) erzielten Einkünfte; die übrigen Einkünfte entfallen auf andere Staaten. Der Kläger erzielte im Streitjahr daneben anderweitige Einkünfte. Die insgesamt erzielten Einkünfte unterliegen nicht zu mindestens 90 Prozent der deutschen Einkommensteuer, auch übersteigen die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG 2008.
3. Nach belgischem Recht war der Kläger im Streitjahr als sog. „europäischer Rechtsanwalt” auf der Liste … der frankophonen Anwaltskammer N (Belgien) zugelassen und führte die Bezeichnung „Rechtsanwalt (A) établi à N”. Für die Tätigkeit als „europäischer Rechtsanwalt” war die deutsche Rechtsanwaltszulassung rechtlich erforderlich. Aus diesem Grunde war der Kläger bei der Rechtsanwaltskammer A, einer deutschen Körperschaft öffentlichen Rechts, als Rechtsanwalt nach deutschem Recht zugelassen. Durch seine Rechtsanwaltszulassung war der Kläger zugleich Pflichtmitglied „Zwangsmitglied”) im Versorgungswerk der Rechtsanwälte Nordrhein-Westfalen (nachfolgend: „Versorgungswerk”) gem. § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Rechtanwaltsversorgung Nordrhein-Westfalen (RAVG NRW) i.V.m. § 10 Nr. 2 der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte NRW (nachfolgend: „Satzung”). Hintergrund der berufsständischen Versorgung ist die Regelung in § 6 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) – Gesetzliche Rentenversicherung –, wonach Beschäftigte und selbständig Tätige bei der Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung von einer ansonsten bestehenden Versicherungspflicht in der deutschen gesetzlichen Rechtenversicherung befreit sind.
4. Der Kläger hatte nach § 30 der Satzung Pflichtbeiträge zu entrichten, die sich nach der Höhe seines Einkommens richteten. Aufgrund dessen leistete er im Streitjahr an das Versorgungswerk Zahlungen i.H.v. 16.453,32 €, die „13/10” des Pflichtbeitrags und damit den satzungsmäßig maximalen zahlbaren Beitrag darstellen. Dieser Betrag unterteilt sich in Pflichtbeträge „10/10”; 12.656,40 €) sowie darüber hinausgehende freiwillig vom Kläger geleisteten Zahlungen „3/10”; 3.796,92 €). Daneben leistete der Kläger Beiträge an eine private Rentenversicherung in Deutschland i.H.v. 3.696 €.
Verfahrensablauf im Besteuerungsverfahren
5. In Belgien unterlag der Kläger unstreitig der dortigen unbeschränkten Einkommensteuerpflicht. Nach Klägerangaben haben sich die Zahlungen an das Versorgungswerk im Ergebnis nicht bei der belgis...