Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Stundungs- und Nachzahlungszinsen auf die sog. "Wegzugsteuer" nach AStG bei Verlegung des Wohnsitzes in die Schweiz
Leitsatz (redaktionell)
1) § 6 Abs. 5 AStG steht der Festsetzung von Stundungszinsen gemäß § 234 AO und Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO entgegen
2) § 6 Abs. 5 AStG ist europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass nicht nur eine geschuldete und festgesetzte Wegzugsteuer zinslos zu stunden ist, sondern auch, dass eine geschuldete und verspätet festgesetzte Wegzugsteuer ohne eine aus der Verspätung resultierende Zinsbelastung festzusetzen ist, wenn diese gemäß § 6 Abs. 5 AStG nach der Festsetzung zinslos zu stunden ist.
3) Für die nach § 6 Abs. 1 AStG geschuldete, aber gemäß § 6 Abs. 5 AStG zinslos zu stundende Wegzugsteuer fallen nach dem Sinn und Zweck des § 233a AO auch keine Nachzahlungszinsen an.
4) Diese Maßstäbe gelten auch für die Wohnsitzverlegung in die Schweiz.
Normenkette
AO §§ 233a, 234; AStG § 6
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO bzgl. eines Sachverhalts, der einer Einkommensbesteuerung gemäß § 6 AStG (sog. Wegzugsbesteuerung) unterfällt.
Die beiden Antragsteller verfügten über einen Wohnsitz in Deutschland und wurden für das Jahr 2013 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie verlegten im Laufe des Jahres 2013 ihren Wohnsitz in der Schweiz. Im Rahmen einer bei den Antragstellern durchgeführten Außenprüfung wurde aufgrund der seither gegebenen Ansässigkeit der Antragsteller in der Schweiz (vgl. Art. 4 des Abkommens zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung zwischen Deutschland und der Schweiz) ein Sachverhalt festgestellt, der zu einer Besteuerung gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG führt. Diese Wegzugsbesteuerung betrifft den Wertzuwachs der Gesellschaftsanteile der Antragsteller an der schweizerischen Z AG. Die Verwirklichung des Besteuerungstatbestandes sowie die Höhe des fiktiven Veräußerungsgewinns im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Aufgrund der Betriebsprüfung erließ der Beklagte mit Datum 28. April 2020 einen Änderungsbescheid bzgl. der Festsetzung von Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und gesonderten Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen, die im Zusammenhang mit der Einkommensteuerfestsetzung durchzuführen sind. Mit diesem Bescheid wurden – neben der Einkommensteuer i.H.v. 116.069 € – für den Zeitraum 1. April 2015 bis 4. Mai 2020 Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer i.H.v. 35.395,25 festgesetzt. Die Einkommensteuer wurde von den Antragstellern beglichen.
Gegen die Festsetzung der Nachzahlungszinsen wandten sich die Antragsteller mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 14. Mai 2020 und beantragten einen Erlass der Zinsen aus Billigkeitsgründen. Zudem legten die Antragsteller Einspruch gegen die Zinsfestsetzung ein und beantragten insoweit die Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheids mit der Begründung, infolge des Wegzugs der Antragsteller in die Schweiz sei die Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO ausgeschlossen. Vielmehr sei § 6 Abs. 5 AStG anzuwenden und demnach eine zinslose Stundung zu gewähren, wie dies bereits im Rahmen der Betriebsprüfung beantragt und im Betriebsprüfungsbericht festgehalten worden sei.
Der Antragsgegner lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung im Wesentlichen mit der Begründung ab, der Zinsanspruch gemäß § 233a AO knüpfe lediglich an die Festsetzung des auf § 6 AStG beruhenden Steueranspruchs an, nicht jedoch an dessen Entrichtung oder Stundung. Nach Maßgabe des BMF-Schreibens vom 13. November 2019 hätte die Steuer auf Antrag in fünf gleichen, verzinslichen Jahresraten gestundet werden können. Eine derartige Stundung hätte auch die entsprechende Stundung der auf die Steuer entfallenden Zinsbeträge gemäß § 233a AO umfasst. Von der Stundungsmöglichkeit hätten die Antragsteller jedoch keinen Gebrauch gemacht. Die Ablehnungsgründe wurden den Antragsteller mit Schreiben vom 26. Mai 2020 und vom 13. Juli 2020 dargelegt.
Gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung wenden sich die Antragsteller mit dem vorliegenden Aussetzungsantrag. Unter Verweis auf die Einspruchsbegründung tragen die Antragsteller zur Begründung vor, dass zwar die Tatbestandsvoraussetzungen von § 233a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 3 AO hinsichtlich der gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG i.V.m. § 17 EStG festgesetzten Steuer vorlägen, jedoch die Regelung des § 233a AO durch § 6 Abs. 5 AStG verdrängt werde. Eine Vollverzinsung sei nicht zulässig, da sie die Antragsteller in ihren aus dem EU-Vertrag ableitbaren Grundrechten (Niederlassungsfreiheit) verletzten. Die Wegzugsbesteuerung sei nach der Rechtsprechung des EuGH so auszugestalten, dass sie zwar eine Festsetzung der Steuer ermögliche, die Erhebung aber grundsätzlich so lange ausschließe, bis der Steuerpflichtige einen tatsächlichen Veräußerungsgewinn erzielt habe. A...