Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss der Antragsveranlagung zur ESt für in der Schweiz ansässige deutsche Arbeitnehmer europarechtswidrig
Leitsatz (redaktionell)
Der Ausschluss einer Antragsveranlagung zur Einkommensteuer für in der Schweiz ansässige deutsche Arbeitnehmer ist europarechtswidrig.
Normenkette
FZA Art. 7, 15; Anhang I zum FZA Art. 19 Abs. 2; EStG § 1 Abs. 4, § 50 Abs. 2; FZA Art. 21 Abs. 3, Art. 13; AEUV Art. 267 Abs. 2
Nachgehend
Tatbestand
A.
Die Beteiligten streiten – nach Verbindung der ursprünglich getrennten Verfahren – über die Festsetzung der Einkommensteuer 2017 bis 2019. Zwischen ihnen ist streitig, ob dem in der Schweiz wohnhaften Kläger im Rahmen der deutschen beschränkten Einkommensteuerpflicht (i.S.d. § 1 Abs. 4 Einkommensteuergesetz – EStG) bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit das Recht auf Antragsveranlagung nach § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchstabe b) EStG – mit der Folge der Berücksichtigung von Aufwendungen (Werbungskosten) sowie der Anrechnung von im Steuerabzugsverfahren einbehaltener deutscher Lohnsteuer – entgegen der Regelung in § 50 Abs. 2 Satz 7 EStG aus europarechtlichen Gründen unter Anwendung des Freizügigkeitsabkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten und der Schweiz zu gewähren ist.
I. Ausgangssachverhalt
Der Kläger ist deutscher Staatsbürger und war in den Streitjahren 2017 bis 2019 als Manager für ein deutsches Unternehmen (mit Sitz in Z (Deutschland)) tätig. Er erzielte in den Streitjahren aus der Beschäftigung Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gem. § 19 EStG. Er hatte in den Streitjahren nach einem vorherigen Umzug aus Deutschland (im April 2016) in die Schweiz in der dortigen Gemeinde Y seinen alleinigen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt. Der Umzug erfolgte insbesondere aus familiären Gründen, weil die Ehefrau des Klägers in Y (Schweiz) eine Beschäftigung aufnahm. Der Aufenthalt in der Schweiz erfolgte rechtmäßig im Rahmen einer Niederlassungsbewilligung. Für seinen (deutschen) Arbeitgeber war der Kläger im (schweizerischen) häuslichen Arbeitszimmer sowie im Außendienst tätig. Er betreute hierbei überwiegend Kunden im süddeutschen und westdeutschen Raum, teilweise vor Ort in Deutschland, teilweise von seinem Wohnort aus. Von seinem Arbeitgeber wurde ein deutscher Lohnsteuerabzug vom Bruttogehalt vorgenommen und Lohnsteuer an die deutsche Finanzverwaltung abgeführt. Eine Aufteilung des Arbeitslohns zwischen Deutschland und der Schweiz im Wege des Lohnsteuerabzugsverfahrens erfolgte nicht; der vollständige Arbeitslohn wurde der deutschen Lohnsteuer unterworfen. Während der Streitjahre ließ der Kläger auch keinen Freibetrag als sog. „Lohnsteuerabzugsmerkmal” (§ 39 EStG) von der Finanzbehörde eintragen.
Im Rahmen der Außendiensttätigkeit (unter Nutzung eines geleasten, nicht vom Arbeitgeber gestellten Kraftfahrzeugs) hatte der Kläger insbesondere erhebliche eigene Kfz-Kosten und andere Reisekosten zu tragen. Der Kläger unterlag in den Streitjahren unstreitig in Deutschland einer beschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 4 EStG. Eine (antragsabhängige) unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG war unstreitig nicht möglich. Neben den Lohneinkünften erzielte der Kläger Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von zwei in Deutschland (in X und in W) belegenen Immobilien. Erst nach den Streitjahren, im Jahre 2021, gab der Kläger seinen Wohnsitz in der Schweiz auf und ist seitdem wieder in Deutschland wohnhaft.
II. Antrags- und Einspruchsverfahren
Im Februar 2019 reichte der Kläger die Einkommensteuererklärung 2017 (Vordruck für beschränkt steuerpflichtige Personen) beim Beklagten, dessen Zuständigkeit gem. § 19 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) sich durch das wesentlich in X belegene Vermögen ergab, ein. Neben erklärten Einkünften aus Vermietung und Verpachtung erklärte der Kläger Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit „Lohneinkünfte”). Hier führte der Kläger an, dass von einem Gesamtarbeitslohn (laut Lohnsteuerbescheinigung des deutschen Arbeitgebers) i.H.v. 113.299,41 EUR ein Bruttolohn von 63.651 EUR auf die in Deutschland ausgeübten und dort steuerbaren Tätigkeiten entfalle. Die vom Arbeitgeber in Deutschland abgeführte Lohnsteuer betrug 41.484 EUR (zzgl. 2.281,56 EUR Solidaritätszuschlag). Steuermindernd machte der Kläger Werbungskosten (d.h. mit der in Deutschland steuerpflichtigen Beschäftigung zusammenhängende Aufwendungen) i.H.v. insgesamt 18.289 EUR geltend. In der Steuererklärung stellte er einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer nach § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchstabe b) i.V.m. Satz 7 EStG und führte aus, der Ausschluss des Antragsrechts „Recht/Anspruch auf Veranlagung”, „Veranlagung auf Antrag”, nachfolgend meist „Antragsveranlagung” genannt) für Drittländer (hier: Schweiz; die Schweiz ist weder Mitglied der Europäischen Union – EU –, noch Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums – EWR –) sei aufgrund des Abkommens zwischen der Europäischen Gem...