Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerbesteuerpflicht einer Diplom-Sozialarbeiterin
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Begriff „Rehabilitation” i.S. des § 3 Nr. 20 Buchst. e) GewStG ist weit zu verstehen.
2. Er umfasst sowohl die –auf diesen Bereich ausdrücklich spezifizierte- medizinische Rehabilitation als auch die (Wieder-)Eingliederung in das Arbeitsleben und die Gemeinschaft.
3. Eine Eingrenzung der Rehabilitation auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation i.S. des § 40 SGB V und Leistungserbringung durch Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen i.S. des § 107 SGB V ist nicht geboten.
Normenkette
SGB V §§ 40, 107; GewStG § 3 Nr. 20 Buchst. e)
Nachgehend
BFH (Aktenzeichen X R 15/24) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen der Festsetzung der Gewerbesteuermessbeträge 2015, 2016 und 2018 über die Frage, ob gewerbliche Einkünfte der Klägerin gem. § 3 Nr. 20 Buchst. e) Gewerbesteuergesetz (GewStG) von der Gewerbesteuer befreit sind.
Die Klägerin ist Diplomsozialarbeiterin mit einer Weiterbildung zur Suchtkrankenhelferin. In den Streitjahren unterstützte sie im Rahmen der ambulanten Eingliederungshilfe Menschen mit einer psychischen Erkrankung, körperlichen und/oder geistigen Behinderungen oder chronischen Suchterkrankungen bei einer selbstbestimmten Lebensführung. Ausweislich des Internetangebots wurde z. B. Unterstützung
- • beim eigenverantwortlichen, selbständigen Wohnen im vertrauten Lebensraum,
- • beim Finden einer zufriedenstellenden, tagesstrukturierenden Tätigkeit,
- • bei der Suche nach einer bezahlten Arbeit,
- • bei einer erfüllenden Lebensführung sowie Freizeitgestaltung,
- • beim Knüpfen und Führen von sozialen Kontakten und
- • bei der Anbindung an Fachärzte, Therapeuten, Sucht- und Schuldnerberatungsstellen u. ä.
angeboten.
Die Klägerin erbrachte diese Leistungen im Rahmen einer Leistungs- und Prüfungsvereinbarung mit dem Landschaftsverband Rheinland (LVR) als zuständigem Sozialhilfeträger. Die Vereinbarung (siehe Blatt – Bl. – 112 ff. der elektronischen Gerichtsakte – eGA; in besserer Qualität siehe Bl. 193 ff. eGA; Ergänzungsvereinbarung siehe Bl. 122) enthält detaillierte Regelungen zu Art, Ziele und Inhalt der Leistungen sowie zur Beschränkung der Leistungen auf Menschen mit psychischer Behinderung, Menschen mit geistiger Behinderung, Menschen mit körperlicher Behinderung und Menschen mit chronischer Suchterkrankung im Einzugsgebiet der Stadt A, des B und des C. Sie verweist ferner auf einen Rahmenvertrag gem. § 79 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) – Sozialhilfe (SGB XII) in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung (nachfolgend „SGB XII a.F.”), welche diverse (Sozial-)Verbände mit dem LVR und weiteren kommunalen Vertretungen in Nordrhein-Westfalen geschlossen haben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Vereinbarungen und den Rahmenvertrag verwiesen.
Die Klägerin war gemäß dem in §§ 75 ff. SGB XII a.F. geregelten Vertragsrecht für den LVR (Sozialhilfeträger) ein „Leistungserbringer im Leistungsbereich Ambulantes Betreutes Wohnen”. Die Klägerin erzielte in allen Streitjahren nahezu sämtliche Einnahmen durch Vergütungen des LVR; geringe Zahlungen entfallen auf „Selbstzahler”.
Ihre Leistungen stellen, was zwischen den Beteiligten in tatsächlicher Hinsicht unstreitig ist, nach der in den Streitjahren geltenden Gesetzesfassung „Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten” gemäß § 53 Abs. 4 SGB XII a.F. i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 6 Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung; nachfolgend „SGB IX a.F.”) dar. Nach neuer Rechtslage (SGB IX in der ab dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung – „SGB IX n.F.”) liegen Assistenzleistungen im Rahmen der Sozialen Teilhabe nach § 77 SGB IX n.F. vor (nach Integration des Eingliederungshilferechts aus dem SGB XII in das SGB IX: § 113 i.V.m. § 77 SGB IX n.F.).
Der Ablauf zur Bewilligung dieser Leistungen stellt sich nach von der Klägerin eingereichten Anlagen (mit einem beispielhaften Verfahrensablauf; vgl. Bl. 93 ff. eGA; vor Integration der Eingliederungshilfe in das SGB IX war diese in §§ 53 ff. SGB XII a.F. geregelt) wie folgt dar:
Zur Kostentragung durch den LVR ist ein Antragsverfahren erforderlich. Der Antrag kann formlos gestellt werden, sinnvoll ist aber ein vom LVR vorgesehener Vordruck bzw. Online-Antrag. Der LVR ist im Rheinland Rehabilitationsträger der Leistungen zur sozialen Teilhabe gem. § 5 Nr. 5, § 6 SGB IX n.F. sowie Träger der Eingliederungshilfe gem. §§ 90 ff. SGB IX n.F. In den Streitjahren war er ebenso nach SGB XII a.F. und SGB IX a.F. für die Eingliederungshilfe zuständig. Auf Grundlage des Antrags und einer Reihe weiterer Dokumenten führt der LVR eine Bedarfsermittlung durch. Hierbei werden u.a. eine fachärztliche Stellungnahme oder andere medizinisch aussagekräftige Unterlagen gefordert, aus welchen die Behinderung oder drohende Behinderung erkennbar ist. Das hierzu verwendete Formular (siehe Beispiel in Bl. 9...