Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Vorsteuervergütung; Ablehnung des Antrags aufgrund Ablauf der Einspruchsfrist; Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinderndes Verschulden ist bereits im Fall leichter Fahrlässigkeit anzunehmen. Für gewerbliche Betriebe wie die Stpfl. lassen sich regelmäßig keine allg. Grundsätze für die Entscheidung der Frage aufstellen, wann den Betriebsinhaber oder Geschäftsführer des Betriebs bei Einschaltung einer Hilfsperson in eine Fristsache ein Verschulden an der Fristversäumung trifft. Die Entscheidung hängt von den Verhältnissen und Umständen des Einzelfalles ab.
2. Entscheidend für die Entschuldbarkeit der Fristversäumung ist, dass den Betriebsinhaber kein Auswahlverschulden trifft und ihm nicht mangelnde Belehrung und Überwachung vorzuwerfen sind. Wenn also der zur Fristwahrung Berufene die Einlegung eines Rechtsbehelfs einer Hilfsperson überlässt, muss er die Fristwahrung durch diese überwachen; geschieht das nicht, liegt eigenes Verschulden des betroffenen Stpfl. vor.
Normenkette
UStDV §§ 59 ff; AO §§ 355, 110 Abs. 1 S. 1; UStG § 18 Abs. 9
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin ein Vorsteuervergütungsanspruch zusteht oder ob dem der Ablauf der Einspruchsfrist entgegensteht.
Die Klägerin ist ein in Großbritannien ansässiges Unternehmen.
Am 1. Februar 2012 (Posteingangsdatum) stellte sie beim Beklagten über das britische Inlandsportal einen Antrag auf Vergütung von Vorsteuern im Rahmen des besonderen Verfahrens nach § 18 Abs. 9 UStG i.V.m. §§ 59 ff. UStDV für den Vergütungszeitraum 10-12/2011 i.H.v. 113.136,42 €. Dem Antrag waren nicht die eingescannten Originalrechnungen beigefügt.
Mit E-Mail vom 27. März 2012 bat der Beklagte die Klägerin unter Nutzung der im Antrag angegebenen E-Mail-Adresse „A@…com”, die eingescannten Originalrechnungen als PDF-Dokument einzureichen.
Sodann erhielt der Beklagte am 27. März 2012 von der angeschriebenen E-Mail-Adresse eine automatische Antwort, wonach sich A bis Anfang 2013 in Mutterschutz befinde. Dabei wurde unter Angabe der entsprechenden E-Mail-Adressen darum gebeten, B (B@…com) oder C (C@…com) zu kontaktieren. Es wurde darauf hingewiesen, dass die an A gesendete E-Mail nicht automatisch weitergeleitet werde. Daraufhin sendete der Beklagte die Hinweis-E-Mail vom 27. März 2012 per E-Mail an C. Es ist streitig, ob der Klägerin dieses Schreiben zugegangen ist.
Nachdem die Klägerin hierauf nicht reagierte, lehnte der Beklagte den Vorsteuervergütungsantrag mit Bescheid vom 21. Mai 2012 ab und begründete dies u.a. damit, dass die Klägerin trotz schriftlicher Aufforderung nicht die erforderlichen Unterlagen vorgelegt und die eingescannten Originalrechnungen nicht in elektronischer Form eingereicht habe. Der Bescheid wurde per E-Mail an „C@…com” gesendet.
Am 1. August 2012 stellte die Klägerin über das britische Inlandsportal einen weiteren Antrag auf Vorsteuervergütung für den Vergütungszeitraum 10-12/2011 i.H.v. 113.136,42 €, der die gleichen Rechnungen des Antrags vom 1. Februar 2012 zum Gegenstand hatte. Diesem Antrag waren die eingescannten Originalrechnungen beigefügt.
Der Beklagte erfasste diesen Antrag als Einspruch gegen den Bescheid vom 21. Mai 2012. Er wies die Klägerin mit Schreiben vom 6. September 2012 hierauf hin und machte darauf aufmerksam, dass die Einspruchsfrist versäumt sei und dass die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht ersichtlich seien.
Am 27. September 2012 stellte die Klägerin einen weiteren Antrag auf Vorsteuervergütung für den Zeitraum 10-12/2011 i.H.v. 113.136,42 €, der die gleichen Rechnungen wie der Antrag vom 1. Februar 2012 zum Gegenstand hatte.
Mit Schreiben vom 11. Oktober 2012 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass der Bescheid vom 21. Mai 2012 zu Unrecht ergangen sei, da der Antrag vom 1. Februar 2012 mangels Beifügung der eingescannten Originalrechnungen nicht wirksam gewesen sei und damit als nicht vorgelegt gelte. Angesichts dessen hätte der Beklagte nach § 86 Satz 2 Nr. 2 AO kein Verwaltungsverfahren durchführen dürfen. Folglich handele es sich bei dem Antrag vom 1. August 2012 um den ersten zulässigen Antrag innerhalb der Vorsteuervergütungsfrist. Selbst wenn man die Beifügung der eingescannten Originalrechnungen nicht als Zulässigkeitsvoraussetzung ansehen sollte, sei ihr eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Einspruchsfrist zu gewähren. Die zuständige Head of Office habe den Bescheid des Beklagten per E-Mail mit folgendem englischsprachigen Text erhalten: „Dear Sir or Madam, your VAT refund application has been handled by the German Federal Central Tax Office. Please find attached to this email our letter of decision.” Diese E-Mail habe die Head of Office an den mit dem Vorsteuervergütungsverfahren beauftragten Mitarbeiter weitergeleitet. Da der Text in der Begleit-E-Mail identisch zu dem Begleittext gewesen sei, mit denen positive Bescheid...