Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld für ausländische Eltern

 

Leitsatz (redaktionell)

§ 62 Abs. 2 EStG idF des JStG 1996 ist entgegen seinem Wortlaut so auszulegen, dass der Ausschluss von Ausländern nicht für solche Eltern gilt, die auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können und die sich seit mindestens einem Jahr ununterbrochen in Deutschland aufhalten.

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 2

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin Kindergeld für ihre Kinder M (geboren 14.11.1993), E (18.6.1995) und Y (3.3.1997) zusteht. Die Kinder lebten unstreitig bis Dezember 2004 im Haushalt der Klägerin in Deutschland.

Die Klägerin ist nigerianische Staatsangehörige und lebt seit mindestens 1993 in Deutschland. Sie verfügte zunächst über eine Duldung aus humanitären Gründen wegen Behandlungsbedürftigkeit eines Kindes. Ab März 2000 ist sie im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis. Seit September 2005 geht sie einer geringfügigen Beschäftigung nach. Seit dem 29.5.2006 ist die Klägerin im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz.

Einen erstmaligen Kindergeldantrag für die vorgenannten Kinder lehnte die Beklagte mit Verfügung vom 28.7.2000 ab. Die Ablehnung wurde bestandskräftig, da kein Rechtsbehelf eingelegt wurde.

Die Beklagte lehnte einen weiteren Kindergeldantrag vom 28.7.2005 mit Verfügung vom 10.8.2005 ab. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies sie mit Einspruchsentscheidung vom 4.10.2005 zurück.

Mit der Klage beantragt die Klägerin,

die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 10. August 2005 und der Einspruchsentscheidung vom 4. Oktober 2005 zu verpflichten,

  1. das Kindergeld für die Zeit von Januar 2001 bis Dezember 2004 zu gewähren,
  2. im Übrigen über den Kindergeldanspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Senat hat den Zeitraum ab Januar 2005 abgetrennt und das Verfahren insoweit ausgesetzt.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist insgesamt zulässig und begründet. Der Klägerin steht das beantragte Kindergeld bis Dezember 2004 zu, weil ihre Ausweisung auf unbestimmte Zeit nicht möglich ist und sie sich seit über einem Jahr berechtigt in der BRD aufhält.

I. Die Kindergeldberechtigung der Klägerin ergibt sich aus § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des JStG 1996, der vor dem Hintergrund des BVerfG-Beschlusses vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97 (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114) entgegen seinem Wortlaut einschränkend dahin auszulegen ist, dass der Ausschluss von Ausländern von der Kindergeldberechtigung nicht für solche ausländischen Eltern gilt, die auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können und die sich seit mindestens 1 Jahr ununterbrochen in Deutschland aufhalten.

1. Entgegen den Ausführungen des BFH in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 15. März 2007 III R 93/03 (auf der Homepage des BFH erschienen am 9. Mai 2007) lehnt der erkennende Senat die Anwendung der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG vom 13. Dezember 2006 auf den Streitfall ab, weil er deren Erstreckung auf Altfälle durch die Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG für verfassungsrechtlich unzulässig hält.

a) Gemäß § 62 Abs. 2 EStG, der durch Art. 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (AuslAnsprG – BGBl I 2006, 2915, BStBl I 2007, 62) an die Systematik der Aufenthaltstitel nach dem Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet vom 30. Juli 2004 (AufenthG – BGBl I 2004, 1950) angepasst worden ist, hängt die Kindergeldberechtigung von nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern, denen lediglich eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG wegen eines Krieges in seinem Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG erteilt worden ist (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG) davon ab, dass sie sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten und darüber hinaus im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig sind, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch beziehen oder Elternzeit in Anspruch nehmen (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG).

b) Die Regelung ist mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft getreten, erfasst aber darüber hinaus alle Sachverhalte, bei denen das Kindergeld – wie auch im Streitfall – noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (§ 52 Abs. 61a Satz 2 EStG). Wegen der Anknüpfung der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG an die Aufenthaltstitel nach den AufenthG einerseits und wegen der rückwirkenden Erstreckung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf vor dem 1. Januar 2005 verwirklichte Sachverhalte (Altfälle) andererseits, in denen sich die Aufenthaltstitel noch nach dem AuslG richteten, müsste nach dieser Regelung für Altfälle jeweils geklärt werden, inwieweit die Aufenthaltsrechte nach dem AuslG 1990 den in § 62 Abs. 2 EStG genannten Aufenthaltstiteln e...

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