Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung wegen neuer Tatsachen nach Schätzungsbescheid
Leitsatz (redaktionell)
Grobes Verschulden i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO liegt vor, wenn der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nicht nachkommt und dadurch den Erlass eines Schätzungsbescheides veranlasst.
1) Ein unmittelbarer oder mittelbarer Zusammenhang i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO besteht nicht zwischen den zu einer Steuererhöhung führenden Einkünften aus Gewerbebetrieb und den zu einer Steuerminderung führenden Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.
3) Das Finanzamt ist nicht verpflichtet, einen Schätzungsbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung zu erlassen.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 2, §§ 164, 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 1
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der auf einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen beruhende Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2006 zu ändern ist.
Die steuerlich beratenen Kläger sind Eheleute und wurden im Streitjahr 2006 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Da sie trotz Aufforderung keine Steuererklärung abgegeben hatten, schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Einkommensteuer mit Bescheid vom …2008 fest. Dabei legte er für den Kläger bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb einen Gewinn von 17.500 Euro und bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung einen Überschuss von 9.000 Euro zugrunde. Bei der Klägerin berücksichtigte er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von 23.895 Euro sowie einen Verlust bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung von 400 Euro. Die beschränkt abziehbaren Sonderausgaben wurden mit 5.462 Euro angesetzt und im Rahmen der Höchstbetragsberechnung mit 5.148 Euro berücksichtigt. Der Steuerbescheid erging nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und wurde in der Folgezeit bestandskräftig.
Am …2008 reichten die Kläger ihre Steuererklärung für 2006 beim Beklagten ein und begehrten die Änderung der Steuerfestsetzung. Ausweislich der Steuererklärung belief sich der Gewinn des Klägers aus Gewerbebetrieb auf 26.004 Euro. Hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung machten der Kläger einen Verlust von 11.768 Euro und die Klägerin einen Verlust von 4.258 Euro geltend. Bei den übrigen Einkünften bestand im Ergebnis keine Abweichung zu den im Schätzungsbescheid berücksichtigen Werten. Die beschränkt abziehbaren Sonderausgaben betrugen ausweislich der Steuererklärung 23.048 Euro, die außergewöhnlichen Belastungen vor Berücksichtigung der zumutbaren Belastung 574 Euro.
Der Beklagte wies die Kläger mit Schreiben vom 8.10.2008 darauf hin, dass die Einspruchsfrist abgelaufen sei und gab ihnen Gelegenheit, Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorzutragen. Daraufhin teilte der steuerliche Berater der Kläger im Schreiben vom 21./22.10.2008 mit, dass er gegen den Schätzungsbescheid „bewusst keinen Einspruch eingelegt” habe, da ihm die Kläger trotz Aufforderung keine Unterlagen für die Erstellung der Steuererklärung vorgelegt hätten. Seiner Ansicht nach hätte der Beklagte einen Einspruch ohne die Beifügung der Steuererklärung „sicherlich” als unbegründet abgelehnt. Im übrigen sei eine Änderung des Schätzungsbescheids auch nach dem Eintritt der Bestandskraft nach § 173 AO möglich; das „unstrittig” vorliegende „Verschulden” der Antragsteller sei nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO unbeachtlich.
Der Beklagte lehnte den Änderungsantrag mit Bescheid vom …2008 ab. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies er mit Einspruchsentscheidung vom …2008 zurück und führte zur Begründung im wesentlichen aus, dass eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung nicht in Betracht komme. Die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO lägen nicht vor, zumal die Kläger ein grobes Verschulden im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO treffe. Das Verschulden sei nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO unbeachtlich. Der hierfür erforderliche unmittelbare oder mittelbare Zusammenhang zwischen steuererhöhenden und steuermindernden Tatsachen sei nicht gegeben. Die Besteuerungsgrundlagen in der Steuererklärung müssten in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. Zwischen den einzelnen Einkunftsarten bestehe kein unmittelbarer oder mittelbarer Zusammenhang im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO. Die jeweiligen Einkünfte seien nicht „ursächlich” miteinander verknüpft. Im vorliegenden Fall sei der „steuererhöhende Vorgang” auch ohne den „steuermindernden Vorgang” denkbar. Das rein zeitliche Zusammentreffen dieser Vorgänge sei nicht ausreichend. Auch der Umstand, dass die Schätzung der Besteuerungslagen wegen der vorherigen Nichtabgabe der Steuererklärung erfolgt sei, führe nicht zu einer anderen Beurteilung.
Mit ihrer Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie sind der Auffassung, dass die Voraussetzungen des § 173 AO gegeben seien. Zwar sei der Beklagte wegen der Nichtabgabe der Steuererklärung „unstreitig” zur Schätzung der Besteuer...