Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahren; Rückstellung für Altersfreizeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Die betragsmäßige Erweiterung des Klageantrags stellt keine Klageänderung dar, die von den Voraussetzungen des § 67 FGO abhinge.
2. Ein Bilanzausweis von Rückstellungen ist trotz des Verbots der Passivierung von Verbindlichkeiten aus schwebenden Geschäften geboten, wenn das Gleichgewicht der Vertragsbeziehungen durch Vorleistungen oder Erfüllungsrückstände eines Vertragspartners gestört ist.
3. Ungewiss ist eine Verbindlichkeit, wenn sie dem Grunde nach besteht oder mit Wahrscheinlichkeit entstehen wird und hinsichtlich der Höhe dieser Verbindlichkeit Ungewissheit herrscht, wobei die Inanspruchnahme aus der Verbindlichkeit wahrscheinlich sein muss.
4. Die Bildung einer Rückstellung setzt weiter voraus, dass die ungewisse Verbindlichkeit im abgelaufenen Wirtschaftsjahr oder in der davor liegenden Zeit wirtschaftlich verursacht worden ist.
5. Die Verpflichtung des Arbeitgebers in einem Manteltarifvertrag, dem Arbeitnehmer am Ende des laufenden Arbeitsverhältnisses und vor dem Eintritt in die gesetzliche Altersrente Freizeittage zu gewähren, stellt eine Gegenleistung des Arbeitgebers für eine bereits in zurückliegenden Jahren erbrachte Leistung des Arbeitnehmers dar.
Normenkette
EStG § 5 Abs. 1, 4; HGB § 249 Abs. 1 S. 1
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die steuerliche Berücksichtigung einer Altersfreizeitrückstellung.
Die Klägerin ist … in B tätig. Den Arbeitnehmern der Klägerin stand gemäß dem einheitlichen Manteltarifvertrag für … im Land Nordrhein-Westfalen vom … (Zusatzvereinbarung vom …) zusätzliche bezahlte Freizeit von zwei Arbeitstagen je vollem Jahr ihrer Betriebszugehörigkeit zu, soweit sie dem Betrieb mindestens zehn Jahre ununterbrochen zugehörig waren und das 60. Lebensjahr vollendet hatten. Die Regelung hatte verkürzt folgenden Wortlaut:
„Arbeitnehmer, die nach einer mindestens 10-jährigen ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit das 60. Lebensjahr vollendet haben, erhalten eine zusätzliche bezahlte Freizeit von 2 Arbeitstagen je vollem Jahr ihrer Betriebszugehörigkeit. Bei Berechnung der Dauer der Betriebszugehörigkeit werden Zeiten, die vor Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt. Berücksichtigungsfähig sind nur die tatsächlich zusammenhängenden Jahre der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers bis zum Bezug der gesetzlichen Altersrente. Die dem Arbeitnehmer zustehenden Freizeittage sind am Ende des laufenden Arbeitsverhältnisses und nur vor Eintritt in die gesetzliche Altersrente zu gewähren. Das gilt auch, wenn die Inanspruchnahme der gesetzlichen Altersrente nach Arbeitslosigkeit im Anschluss an das bisherige Arbeitsverhältnis erfolgt. Die dem Arbeitnehmer zustehenden Freizeittage sind in natura zu gewähren und zu nehmen. Nicht genommene Freizeittage verfallen, ein Abgeltungsanspruch besteht nicht.”
Die Klägerin hat insoweit eine Rückstellung i.H.v. 337.900 € im Jahresabschluss zum 31.12.2016 (Steuerbilanz 2016) als Passivposten angesetzt. Hinsichtlich der Berechnung der Höhe der Rückstellung wird auf die in der Gerichtsakte (Bl. 92-95) befindliche Übersicht der Klägerin verwiesen.
Die Groß- und Konzernbetriebsprüfung B (nachfolgend: GKBP) führte vom ….2018 bis ….2019 (Termin der Schlussbesprechung) eine Betriebsprüfung (BP) für die Jahre 2013 bis 2016 durch. Laut Betriebsprüfungsbericht vom …2019 wurde grundsätzliche Einigung über die zunächst streitigen Punkte erzielt. Die Klägerin behielt sich jedoch vor, gegen die Nichtberücksichtigung der Altersfreizeitrückstellung durch die GKBP Einwendungen zu erheben. Nach Ansicht der GKBP sei eine solche Rückstellung nicht zu bilden und der Bilanzposten entsprechend aufzulösen. Zur Begründung verwies sie auf das Urteil des FG Niedersachsen vom 15.10.1987, VI 59/85, sowie das BMF-Schreiben vom 11.11.1999, BStBl I 1999, 959 (Rn. 5). Die danach zu beachtenden Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten seien nicht erfüllt. Insbesondere liege kein Erfüllungsrückstand seitens der Klägerin gegenüber ihren Arbeitnehmern vor, da diese keine Mehrleistungen erbracht hätten, wie beispielsweise in der Ansparphase im Rahmen einer Altersteilzeitvereinbarung.
Unter dem 3.9.2019 erließ der Beklagte einen gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderten Bescheid für 2016 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen. Darin erhöhte er den Gewinn um 337.900 € und stellte Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. … € fest. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben.
Dagegen wandte sich die Klägerin mit Einspruch vom 4.10.2019. Der Steuerbilanzgewinn 2016 sei nicht um den Betrag der Altersfreizeitrückstellung (337.900 €) zu erhöhen. Das von der GKBP genannte Urteil des FG Niedersachsen sei zu einer anderen Sachlage ergangen. Die Rückstellung sei zu Recht in der Steuerbilanz zum 31.12.2016 gebildet worden. Die Voraussetzungen...