Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausländischer Arbeitnehmer - EU-Recht

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Ein Italiener, mit Wohnsitz in Deutschland, der aufgrund nichtselbständiger Tätigkeit gemäß Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der VO (EG) Nr. 883/2004 den deutschen Rechtsvorschriften unterliegt, hat für seine in Italien bei der Kindesmutter wohnenden Kinder, für die in Italien kein Anspruch auf Kindergeld besteht, Anspruch auf Kindergeld in Deutschland.

2) § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG steht dem Anspruch nicht entgegen; anspruchsberechtigt i.S. des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG sind nur solche Personen, die selbst die Anspruchsvoraussetzungen des § 62 Abs. 1 EStG erfüllen.

 

Normenkette

EStG §§ 63-64; VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 11 ff.; EStG § 62

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Kindergeld für die Zeit von April 2012 bis März 2013 für die Kinder des Klägers H (geboren am … August 2000), D (geboren am … Dezember 2002) und M (geboren am … Januar 2005).

Der Kläger ist italienischer Staatsbürger und seit dem 1. April 2012 als Arbeitnehmer der A Service GmbH in Euskirchen tätig. Im Rahmen der Art. 11 ff. der Verordnung (EG) 883/2004 unterliegt der Kläger den deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit. Er hat seinen Wohnsitz in Deutschland und ist in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.

Seine Kinder leben bei der Kindesmutter in Italien, von der der Kläger dauernd getrennt lebt.

Der Kläger leistet für die Kinder Barunterhalt.

Weder der Kläger noch die Kindesmutter erhalten in Italien Kindergeld.

Am 25. Juli 2012 stellte der Kläger einen Antrag auf Gewährung von Kindergeld für seine Kinder.

Mit Bescheid vom 18. Oktober 2012 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kindergeld ab. Zur Begründung führte sie aus, dass nach § 64 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes in der für den Streitzeitraum gültigen Fassung (EStG) für jedes Kind nur einer Person Kindergeld gezahlt würde. Erfüllten für ein Kind mehrere Personen die Anspruchsvoraussetzungen, so werde das Kindergeld derjenigen Personen gewährt, die das Kind in ihrem Haushalt aufgenommen habe (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG).

Nach den ihr vorliegenden Unterlagen lebten die Kinder nicht in seinem Haushalt, sondern bei der Kindesmutter in Italien. Daher könne nach § 63 Abs. 1 S. 4 EStG i.V.m. § 2 Abs. 4 S. 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) keine Festsetzung des Kindergeldes an ihn erfolgen. Des Weiteren erteilte sie den Hinweis, dass die Kindesmutter Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz bei der Bundesagentur für Arbeit beantragen könne.

Hiergegen legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, weder er noch die Kindesmutter erhielten für ihre Kinder italienisches Kindergeld. Die Zahlung des Kindergeldes in Italien sei an ein bestehendes Arbeitsverhältnis gekoppelt und von der Höhe des Einkommens abhängig. Sofern die Voraussetzungen vorlägen, erfolgte die Zahlung des Kindergeldes monatlich über die Gehaltsabrechnung. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Italien, sei die daran gekoppelte Steuerzahlung in Italien beendet worden. Die Kindesmutter gehe in Italien keiner Beschäftigung nach und erhalte daher auch kein Kindergeld. Da zudem sein Gehalt die Grenzen in Italien überschreite und seine in Italien lebenden Kinder von ihm wirtschaftlich abhängig seien, erhalte weder er noch die Kindesmutter Kindergeldleistung aus Italien.

Als Rechtsgrundlage für die Kindergeldgewährung sei nicht § 64 Abs. 1 EStG anzuwenden, sondern Art. 67 ff. der Verordnung (VO) (EG) 883/2004, welche die Anspruchsvoraussetzungen für Familienleistungen regelten.

In Art. 68 der VO (EG) 883/2004 seien die Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen aus Familienleistungen aufgeführt. Darin würde nach Ansprüchen unterschieden, die aus unterschiedlichen sowie aus denselben Gründen zu gewähren seien.

Bei Leistungsansprüchen aus unterschiedlichen Gründen aus mehreren Mitgliedstaaten gelte nach Art. 68 Abs. 1 a VO (EG) 883/2004 folgende Rangfolge:

  • Ansprüche aufgrund einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit,
  • Ansprüche aufgrund des Bezugs von Rente,
  • Ansprüche aufgrund des Wohnortes.

Er sei in Deutschland beschäftigt und habe seit dem 1. April 2012 einen Wohnsitz in Deutschland begründet. Er unterliege aufgrund dessen uneingeschränkt der deutschen Einkommensteuerpflicht. Des Weiteren unterliege er während seiner Beschäftigung den deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit. Die Kindesmutter und seine Kinder hätten jedoch weiterhin ihren Wohnsitz in Italien. Nach den oben genannten Regeln bestehe daher kein vorrangiger Kindergeldanspruch in Italien, da die Kindesmutter keiner Beschäftigung dort nachginge.

In Italien könne kein Kindergeldanspruch geltend gemacht werden. Da der Anspruch aus einer Beschäftigung vorrangig sei, bestehe unter Berücksichtigung der gemachten Ausführungen lediglich in Deutschland ein Anspruch auf Kindergeld. Der Wohnsitz der Kinder in Italien könne nicht zur Versagung des Kindergeldes in Deutschland führen. ...

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