Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderungsmöglichkeit im Zusammenhang mit Arbeitnehmerabfindungen:
Leitsatz (redaktionell)
Eine Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO besteht nicht, wenn der Steuerpflichtige die Höhe der Abfindung zutreffend in der Anlage N seiner Steuererklärung eingetragen hat und die damit zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung gut vertretbar ist. Das Finanzamt verletzt die ihm obliegende Ermittlungspflicht nach § 88 AO, wenn es die Angaben ohne weitere Nachprüfung übernimmt.
Normenkette
AO 1977 § 171 Abs. 1 Nr. 1, §§ 88, 150 Abs. 2; EStG § 24 Nr. 1a, § 34 Abs. 1-2, 2 Nr. 2; AO 1977 § 173 Abs. 1
Tatbestand
Zwischen den Parteien ist streitig, ob eine dem Kläger im Jahr 1993 zugeflossene Abfindung nach §§ 24, 34 EStG ermäßigt zu besteuern ist und ob der Beklagte den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid 1993 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ändern konnte.
Die Kläger werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war seit 1991 als Geschäftsführer im technischen Bereich der A. GmbH (A.) angestellt. Das Anstellungsverhältnis sollte nach dem Geschäftsführervertrag am 31. Dezember 1994 enden. Neben seinem Gehalt wurde dem Kläger ein Dienstwagen zur Verfügung gestellt, den er während der Vertragsdauer auch privat nutzen durfte. Am 10. Dezember 1993 wurde der Anstellungsvertrag auf Veranlassung der A. vorzeitig mit sofortiger Wirkung beendet. Im Aufhebungsvertrag wurde vereinbart, dass der Kläger eine Abfindung i.H.v. … DM brutto erhalten sollte und seinen Dienstwagen noch bis zum Ende des Jahres 1994 privat nutzen konnte. Der Kläger erhielt noch am selben Tag eine Nettoentschädigung i.H.v. … DM ausbezahlt.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 1993 gaben die Kläger den Bruttoarbeitslohn des Klägers mit … DM an. Daneben trugen sie in der Anlage N, Zeile 14 „Entschädigungen, die ermäßigt besteuert werden”, … DM Arbeitslohn sowie … DM Lohnsteuer ein und fügten die Lohnsteuerkarte bei, die entsprechende Angaben enthielt. Bei der Erstellung der Steuererklärung hatte eine Steuerberatungsgesellschaft mitgewirkt.
Der Beklagte führte die Veranlagung erklärungsgemäß durch, ohne weitere Unterlagen oder Erläuterungen zu der Abfindung von den Klägern zu verlangen. Die Einkommensteuer für 1993 wurde mit Bescheid vom 12. Januar 1995 ohne Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 AO endgültig festgesetzt. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Im Dezember 1996 teilte der Beklagte den Klägern mit, dass er nun eine detaillierte Überprüfung des Sachverhalts bezüglich des ermäßigten Steuersatzes für erforderlich halte und forderte die Kläger auf, verschiedene Unterlagen zu der Abfindung vorzulegen. Der Beklagte wandte sich daneben auch an die A. und bat um Überlassung der gewünschten Unterlagen. Die Kläger teilten auf Nachfrage außerdem mit, dass der Dienstwagen entsprechend dem Aufhebungsvertrag von dem Kläger im Jahr 1994 weiterhin privat genutzt worden war. Der Beklagte erließ daraufhin am 16. Dezember 1997 einen geänderten Einkommensteuerbescheid 1993, in dem er den ermäßigten Steuersatz für die gesamte Abfindungszahlung versagte.
Gegen diesen Bescheid legten die Kläger mit Schreiben vom 15. Januar 1998 Einspruch ein. Das Einspruchsverfahren verlief erfolglos. In der Einspruchsentscheidung vom 30. Juni 2000 ging der Beklagte weiterhin davon aus, dass die private Nutzung des Dienstwagens eine neue steuererhöhende Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO darstellt.
Mit der am 27.07.2000 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie sind der Ansicht, dass der Beklagte seine Aufklärungspflicht verletzt habe und ihm deshalb wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben das Änderungsrecht nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu versagen sei.
Die Kläger beantragen,
- den geänderten Einkommensteuerbescheid für 1993 vom 15. August 2000 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 30. Juni 2000 dahingehend zu ändern, dass die Abfindung i.H.v. DM … nach §§ 24, 34 EStG ermäßigt besteuert wird und
- hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt im Wesentlichen vor, dass er seine Ermittlungspflicht nicht verletzt habe, da er nicht jede Angabe des Steuerpflichtigen misstrauisch in Zweifel zu ziehen habe, sofern die eingereichten Unterlagen keinen Anlass zu Zweifeln gäben. Derartige Zweifel hätten im Falle der Kläger nicht bestanden, da die durch den Steuerberater angefertigte Steuererklärung eindeutig und in sich nicht widersprüchlich gewesen sei.
Am 15. August 2000 hat der Beklagte einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 1993 erlassen, den die Kläger mit Schreiben vom 15. September 2000 zum Gegenstand des Verfahrens gemacht haben.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist begründet.
Der geänderte Einkommensteuerbescheid für 1993 vom 15. August 2000 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –).
Der Beklagte hat zu Unrecht den Einkommensteuerbescheid 1993 vom 12. Januar 1995 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 ...