Entscheidungsstichwort (Thema)
Inländischer Wohnsitz des Kindes bei Auslandsaufenthalt
Leitsatz (redaktionell)
1) An der Verfassungsmäßigkeit des § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG, wonach Kindergeld nur für Kinder gewährt wird, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem EWR-Staat haben, bestehen keine Zweifel.
2) Es besteht kein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind in Deutschland lebender türkischer Eltern, das sich in einem Jahr 10 Monate und dem darauffolgenden Jahr 11 Monate in der Türkei aufgehalten hat und das sich für Besuchskontakte in Deutschland in einem Zimmer einer bekannten/verwandten Familie aufgehalten hat, weil die Eltern für ihr Kind keine geeigneten Räumlichkeiten bereithalten.
Normenkette
AO §§ 8-9; EStG § 63 Abs. 1 S. 3
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger Kindergeld für seine Tochter M für die Monate ab Oktober 2003 zusteht, insbesondere über die Frage, ob M in den streitbefangenen Monaten einen Wohnsitz in der Bundesrepublik hatte.
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und Vater von 4 Kindern. Er bezog Arbeitslosengeld und außerdem eine inländische Rente von der L, die wegen voller Erwerbsminderung des Klägers festgestellt und bis zum 31. Dezember 2006 befristet war (Kindergeld-Akte, Bl. 193). Der Kläger verfügt über einen inländischen Wohnsitz, hält sich aber auch selbst häufiger in der Türkei auf. Selbst der Prozessbevollmächtigte hat im Rahmen des Vorverfahrens Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme zum Kläger wegen dessen Aufenthalten in der Türkei vorgetragen (Kindergeld-Akte, Bl. 186).
Die im Juni 1983 geborene Tochter M besuchte im Anschluss an die allgemeinbildende Schule das Berufskolleg O. Ausweislich einer vom Kläger vorgelegten Schulbescheinigung sollte die Schulzeit planmäßig bis Juli 2003 dauern. M brach die Schulausbildung am Berufskolleg O jedoch bereits im Juli 2002 nach einjähriger Berufsfachschule mit der Fachoberschulreife ab (Kindergeld-Akte, Bl. 104, 131) und setzte ihre Schulausbildung im Anschluss daran in der Türkei fort. Dies wurde vom Kläger allerdings gegenüber der Beklagten zunächst nicht angezeigt, obwohl der Kläger bereits bei der Antragstellung durch die Vordrucke der Bundesagentur für Arbeit über seine Anzeige- und Mitwirkungspflichten informiert worden war. Im Juni 2003 erlangte M in der Türkei den türkischen Gymnasialabschluss. Anschließend nahm sie ab September 2003 ein Studium in der Stadt J (Türkei) auf.
Für die Monate bis einschließlich September 2003 erhielt der Kläger für M das volle Kindergeld ausgezahlt. Im Oktober 2003 übermittelte der Kläger der Beklagten eine Kopie des Studentenausweises von M. Die Beklagte stellte daraufhin die Kindergeldzahlung für M ein. Den anschließenden Nachweis-Anforderungen kam der Kläger zunächst nur schleppend nach. Das Abschlusszeugnis des Berufskolleg O übersandte er erst Ende Mai 2004, nachdem die Beklagte angedroht hatte, die Kindergeldfestsetzung aufzuheben; Nachweise über die Fortsetzung der Schulausbildung in der Türkei übersandte der Kläger erst nach einer weiteren Aufforderung im Juni 2004.
Mit dem vorliegend streitgegenständlichen Bescheid vom 17. Juni 2004 wurde das Kindergeld für M für die Monate ab Oktober 2003 als Abkommens-Kindergeld in Höhe von 12,78 EUR festgesetzt; im Übrigen wurde der Antrag des Klägers unter Hinweis auf die Fortsetzung der Ausbildung in der Türkei abgelehnt. Insgesamt wurde dem Kläger für die Monate Oktober 2003 bis Mai 2004 ein Nachzahlungsbetrag von 302,24 EUR angewiesen (Kindergeld-Akte, Bl. 155).
Mit weiterem Bescheid vom 19. Juli 2004, gegen den im Anschluss an die Einspruchsentscheidung allerdings keine Klage erhoben wurde, hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für M für die Monate August 2002 bis September 2003 auf der Grundlage von § 70 Abs. 2 EStG, weil M ihre Ausbildung ab August 2002 in der Türkei fortgesetzt und ab diesem Zeitpunkt keinen Wohnsitz mehr im Inland gehabt habe. Gleichzeitig wurde der Kläger zur Erstattung des nach Ansicht der Beklagten für die Monate August 2002 bis September 2003 überzahlten Betrags von 1.977,08 EUR aufgefordert (14 × 141,22 EUR, Kindergeld-Akte, Bl. 170, 204; die Nennung des Monats August 2003 ist nach der Einspruchsentscheidung ein Schreibfehler).
Mit den Einsprüchen machte der Kläger geltend, dass M ihre Schulausbildung zwar ab August 2002 in der Türkei fortgesetzt habe, der Wohnsitz in der elterlichen Wohnung jedoch beibehalten worden sei. M habe sich dort während jeder ausbildungsfreien Zeit und ebenso in den Ferien bzw. den Semesterferien aufgehalten. Außerdem habe M die Absicht, nach dem Studium wieder nach Deutschland zurückzukehren.
Im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens erläuterte die Familienkasse dem Bevollmächtigten die Wohnsitz-Rechtsprechung und bat um eine Schilderung der Wohnverhältnisse von M. Ausweislich der nachfolgenden Erklärung des Bevollmächtigten hat sich M in den Jahren 2003 und 2004 wie folgt in Deutschland aufgehalten, w...