Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen bei Kindergeldbescheid innerhalb des Prognosezeitraums noch möglich
Leitsatz (redaktionell)
Hat die Familienkasse innerhalb des für die kindergeldschädlichen Einkünfte des Kindes laufenden Prognosezeitraums die Gewährung des Kindergelds letztmalig abgelehnt, ist eine Korrektur aufgrund von § 70 Abs. 4 EStG wegen der BVerfG-Entscheidung vom 11.1.2005 - 2 BvR 167/02, die die Sozialversicherungsbeiträge abziehbar stellt, gleichwohl noch möglich.
Normenkette
EStG § 70 Abs. 4, § 32 Abs. 4 S. 2
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die Kindergeldfestsetzung für das Jahr 2003 für den am 00.00.1984 geborenen Sohn W des Klägers.
Der Kläger bezog zunächst Kindergeld bis Dezember 2002 für seinen Sohn W, der sich in Ausbildung befand. Die Festsetzung des Kindergeldes wurde mit Bescheid vom 9.12.2002 ab Januar 2003 aufgehoben, weil die Beklagte die Ansicht vertrat, dass die Einkünfte nach damaliger Rechtsauffassung den Grenzbetrag gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG für das Jahr 2003 überschreiten würden. Unter dem 18.12.2003 beantragte der Kläger erneut Kindergeld für das Jahr 2003. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18.12.2003 mit der Begründung ab, dass die Einkommensgrenze nach den vorliegenden Unterlagen für das Jahr 2003 überschritten werde. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Am 27.5.2005 beantragte der Kläger unter Hinweis auf die Entscheidung des BVerfG vom 11.1.2005 2 BvR 167/02 die Korrektur des Ablehnungsbescheids und die rückwirkende Auszahlung des Kindergeldes für das Jahr 2003.
Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10.11.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.12.2005 ab.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage. Mit der Klage begehrt der Kläger die Festsetzung von Kindergeld für seinen Sohn für das Jahr 2003. Die Beklagte habe in dem bestandskräftigen Bescheid vom 18.12.2003 das für die Einkunftsgrenze maßgebliche Einkommen falsch berechnet, da es die Sozialversicherungsbeiträge nicht berücksichtigt habe. Es könne auch nicht angehen, dass diejenigen Kindergeld nachgezahlt bekämen, die gar keinen Antrag gestellt hätten. Dies führe zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung ohne erkennbaren sachlichen Grund.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 10.11.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.12.2005 zu verurteilen, dem Kläger Kindergeld für das Kind W für das Jahr 2003 zu zahlen.
Hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Nach Ansicht der Beklagten komme vorliegend eine Korrektur des bestandskräftigen Bescheids nicht in Betracht. § 173 AO greife nicht, da keine neuen Tatsachen oder Beweismittel bekannt geworden seien.
In der mündlichen Verhandlung zweifelt der Beklagtenvertreter auch an, ob es sich vorliegend überhaupt um eine Prognoseentscheidung handeln könnte. Zum einen müsse man bedenken, dass schon eine Prognoseentscheidung vom 9.12.2002 vorliege. Die zweite ablehnende Entscheidung sei zum anderen Ende erst des Jahres 2003, am 18.12.2003, ergangen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Bescheid vom 10.11.2005 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO). Die Beklagte ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine Änderung des Bescheids vom 18.12.2003 bezüglich des Jahres 2003 nicht mehr möglich ist.
1. Für ein Kind, das – wie im Streitfall der Sohn des Klägers – das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, wird auf Antrag Kindergeld gewährt, wenn die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG vorliegen. Danach besteht ein Anspruch auf Kindergeld u.a. dann, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG). Im Streitfall lagen die Kindergeldvoraussetzungen nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG während des gesamten Jahres 2003 vor. Weiterhin ist für die Gewährung von Kindergeld Voraussetzung, dass die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt und geeignet sind, den Jahresgrenzbetrag von 7.188 EUR im Jahr 2003 nicht überschreiten.
Auch diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall unstreitig erfüllt. Die im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigenden Einkünfte lagen, wenn man die Sozialversicherungsbeiträge abzieht (Beschluss des BVerfG vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02, HFR 2005, 692), unter der maßgeblichen Einkunftsgrenze.
2. Entgegen der Auffassung der Beklagten steht die Bestandskraft des Bescheids vom 18.12.2003 der Kindergeldgewährung für das Jahr 2003 nicht entgegen.
Gemäß § 70 Abs. 4 EStG ist eine Kindergeldfestsetzung aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 EStG über- oder unterschreiten. Die Vorschrift soll sicherstellen, dass eine Kinder...