Entscheidungsstichwort (Thema)

Missbrauchsrechtsprechung des EuGH bei Ausfuhrlieferungen

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Ausfuhrlieferungen und innergemeinschaftliche Erwerbe sind gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. a und b UStG im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung dann nicht steuerfrei, wenn der Unternehmer gewusst hat oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder einem sonstigen Betrug des Erwerbers verknüpft ist und er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden Maßnahmen ergriffen hat, um die Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder einen sonstigen Betrug zu verhindern.

2) Liegen diese Voraussetzungen vor, scheidet eine Berufung des Stpfl. auf Grundsätze des Vertrauensschutzes aus.

3) Systemtragende Prinzipien der USt wie die Grundsätze der Neutralität und Territorialität sowie das Bestimmungslandprinzip treten zu Gunsten der Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und etwaigen Missbräuchen über die Landesgrenzen der Mitgliedstaaten hinaus zurück.

 

Normenkette

UStG § 4 Nr. 1 Buchst. a; RL 2006/112/EG Art. 146 Abs. 1 Buchst. a b; FGO § 76; UStG § 6 Abs. 1 S. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 12.03.2020; Aktenzeichen V R 20/19)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin, die U & W … GmbH, im Streitjahr 2013 insgesamt 19 Kfz umsatzsteuerbefreit in die Türkei geliefert hat.

Herr U und Herr W gründeten am ….7.2007 die E-GmbH mit Sitz in … K, B-Straße …, der Wohnadresse des Herrn U.

Herr U und Herr W wurden bei einem Geschäftsführergehalt von 1.000 € monatlich mit Gründung der GmbH zu deren Geschäftsführern bestellt. Gegenstand der GmbH, an der die Geschäftsführer zu jeweils 50 % beteiligt waren, war der Handel und die Beratung im Kfz-Bereich. Beide Geschäftsführer waren Angestellte der Firma G in P, einem Vertragshändler der M AG.

Ab Oktober 2012 firmierte die E-GmbH unter U & W … GmbH, der Firma der Klägerin.

Der Beklagte vermerkte am 14.12.2012 (Bl. 303 Bp-Akte), dass in einem Amtshilfeersuchen der Türkei an den deutschen Zoll der Verdacht geäußert worden sei, dass Kfz von Deutschland aus unterfakturiert in die Türkei exportiert werden, um die dortige Sonderverbrauchsteuer = Special Consumption Tax (SCT oder Excise Duty, auch ÖTV = Özel Tüketim Vergisi) und die türkische Umsatzsteuer (KDV = Katma Deger Vergisi) zu umgehen.

Insoweit wird auf die Übersetzung eines Schreibens der Türkischen Republik, Zoll- und Handelsministerium, Abteilung für EU und auswärtige Angelegenheiten (undatiert höchstwahrscheinlich Anfang 2014) an das Deutsche Generalkonsulat T (Türkei), Ansprechpartner für Zollangelegenheiten, verwiesen, in dem unter anderem die bisher erfolgten gegenseitigen Maßnahmen geschildert werden: Arbeitsbesuch im Zollkriminalamt Q März 2011, türkische Anfragen vom 23.05.2011, 15.07.2011, deutsche Schreiben vom 26.01.2012, 07.05.2012 und 08.06.2012 (Bl. 144 ff. Prozessakte).

Des Weiteren wird Bezug genommen auf das Amtshilfeersuchen des Bundeszentralamts für Steuern (BZSt) gemäß § 117 AO vom 04.11.2013 (Bl. 139-143 der Prozessakte), das auf ein Schreiben des türkischen Zoll- und Handelsministeriums, Abteilung für EU und auswärtige Beziehungen, eingegangen am 30.05.2011, Bezug nimmt.

Dort wird ausgeführt, dass nach bisherigen Feststellungen acht deutsche Firmen, unter anderem die Klägerin, in den Jahren 2007-2012 Fahrzeuge im Gesamtwert von 100 Millionen Euro steuerfrei in die Türkei geliefert hätten. Es bestehe der Verdacht, dass die deutschen Firmen unterfakturierte Rechnungen für die türkischen Abnehmer erstellt hätten. Unter anderem bezüglich der Klägerin sei daher zu prüfen, ob deren Kfz-Lieferungen weiterhin als steuerfrei anerkannt werden könnten. Für den Fortgang der Verfahren in Deutschland seien die Rechnungen der deutschen Lieferanten, die dem türkischen Zoll vorlägen und Aufstellungen und Listen des türkischen Zolls über die Einfuhr von Kfz aus Deutschland für die Jahre 2011-2013 von Bedeutung.

Für mögliche Rückfragen und ein persönliches Gespräch stehe Herr Y vom Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung R den türkischen Behörden zur Verfügung.

Am 18.09.2013 begann das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung P in Form einer sogenannten Kombi-Prüfung mit dem Finanzamt für Strafsachen und Steuerfahndung R eine Betriebsprüfung bei der Klägerin für den Zeitraum 2008-2010, unter anderem betreffend Umsatzsteuern. Der diesbezügliche Bericht, auf den verwiesen wird, datiert vom 13.07.2015. Ebenfalls wird auf den Bericht über straf- und bußgeldrechtliche Feststellung des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung R vom August 2015 verwiesen.

Der Beklagte führte ebenfalls mit Beginn am 18.09.2013 eine Umsatzsteuersonderprüfung bei der Klägerin für die Voranmeldungszeiträume 1-12/2012 und 1-7/2013 durch. Auf den Bericht vom 20.05.2015 wird Bezug genommen.

Ebenfalls am 18.09.2013 fand in den Geschäftsräumen der Klägerin in den Räumen der G-Gruppe, H-Straße … in P, eine Durchsuchung statt.

Auf den Durchsuchung- und Beschlagnahmebericht vom 18.09.2...

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