Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Directors einer gelöschten britischen Limited für Steuerschulden einer eingetragenen deutschen Zweigniederlassung, Drittwirkung der Steuerfestsetzung, Grundsatz der anteiligen Tilgung, Mittelvorsorgepflicht, Haftungsquote
Leitsatz (redaktionell)
1) Der Haftungsschuldner hat die materielle Rechtmäßigkeit einer unanfechtbar festgesetzten Steuerschuld gemäß § 166 AO gegen sich gelten zu lassen (Drittwirkung der Steuerfestsetzung).
2) Soweit eine Drittwirkung der Steuerfestsetzung nach § 166 AO nicht eingreift, weil gegen die Steuerfestsetzung wirksam Einspruch erhoben wurde oder der Haftungsschuldner wegen Löschung des Hauptschuldners im Handelsregister rechtlich nicht mehr in der Lage war, Einspruch zu erheben, können im Haftungsverfahren Einwendungen gegen die materielle Rechtmäßigkeit der Primärschuld erhoben werden.
3) Die gesetzliche Vertretung einer britischen Limited erfolgt durch deren Direktoren. Das Amt des „director” einer Limited entspricht weitgehend dem des Geschäftsführers einer deutschen GmbH. Die Verpflichtung des „director” nach § 34 Abs. 1 AO besteht bis zur Löschung der Limited oder dem früheren Zeitpunkt einer Beendigung der Organstellung durch Abberufung („removal”) seitens der Gesellschafterversammlung.
4) Eine schuldhafte Verletzung der Pflichten nach § 34 Abs. 1 AO ist bei Nichtbeachtung des „Grundsatzes der anteiligen Tilgung” sowie der sog. „Mittelvorsorgepflicht” gegeben.
Normenkette
AO §§ 69, 90 Abs. 1, §§ 166, 191 Abs. 1 S. 1, § 34 Abs. 1
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit der Haftungsinanspruchnahme des Klägers für Steuerschulden der deutschen Zweigniederlassung der Firma H (nachfolgend „Steuerschuldnerin” oder „die Ltd.”) streitig.
Die inzwischen gelöschte Ltd. war eine am … in das zentrale britische Unternehmensregister (Companies House) eingetragene „Private Limited Company” britischen Rechts – Limited – (Kapitalgesellschaft mit beschränkter Haftung) mit Sitz in E. Gesellschafter „shareholder”) der Ltd. waren zunächst sowohl der Kläger (mit einem Anteil von ursprünglich 50 %, später 25 %) als auch Herr W. Seit dem Jahr 2007 wurden sämtliche Anteile der Ltd. allein von Herrn W gehalten. Als Geschäftsführer „director”) der Ltd. waren im britische Unternehmensregister vom 20.05.2005 bis zum 13.06.2005 sowohl der Kläger als auch Herr W eingetragen. Seit dem 13.06.2005 weist das Companies House nur noch Herrn W als „director” der Ltd. aus. Nach Art. I. (3) des Gesellschaftsvertrags „articles of association”) der Ltd. erfolgte die Bestellung zum „director” durch ordentlichen Beschluss „ordinary resolution”) der Gesellschafterversammlung „general meeting”).
Die Ltd. betrieb in M seit dem 06.06.2005 (Datum der Handelsregistereintragung) eine deutsche Zweigniederlassung. Gegenstand ihres Unternehmens war der Im- und Export sowie Groß- und Einzelhandel ….
Der Kläger war vom 24.08.2005 bis zum 24.10.2005 sowie erneut ab dem 12.07.2007 als „director” der Ltd. und ständiger Vertreter ihrer inländischen Zweigniederlassung im Handelsregister des Amtsgerichts L eingetragen. Daneben weist das deutsche Handelsregister folgende Personen für folgende Zeiträume als Vertreter der Ltd. aus:
Name |
Zeitraum der Eintragung |
Funktion |
W |
24.08.2005 – 12.07.2007 |
”director” und ständiger Vertreter |
Q |
24.10.2005 – 12.07.2007 |
ständige Vertreterin |
Den Eintragungen lagen ein Beschluss der Gesellschafterversammlung der Ltd. vom 06.07.2007 sowie eine Handelsregisteranmeldung vom 10.07.2017 zugrunde. Mit dem Gesellschafterbeschluss vom 06.07.2007 waren Herr W als „director” der Ltd. und ständiger Vertreter der Zweigniederlassung sowie Frau Q als deren weitere ständige Vertreterin abberufen und der Kläger als ständiger und alleiniger Vertreter der Ltd. und alleiniger ständiger Vertreter ihrer Zweigniederlassung eingesetzt worden. Mit der vom Kläger eigenhändig unterzeichneten Handelsregisteranmeldung vom 10.07.2007 war dementsprechend zur Eintragung angemeldet worden:
- „Herr W ist als Direktor und ständiger Vertreter abberufen worden.
- Frau Q ist nicht mehr ständiger Vertreter.
- Alleiniger „director” und damit als Geschäftsführer in vollem Umfang allein zur … … Vertretung der Gesellschaft wie auch der Zweigniederlassung berechtigt, bin … ich, der Unterzeichnende.”
Nach dem Gesellschafterbeschluss vom 06.07.2007 hatte Frau Q im Zeitraum ihrer Bestellung als ständige Vertreterin der Zweigniederlassung nur eine Prokura inne, die es ihr erlaubt hätte, im Falle einer Verhinderung des Herrn W für die Zweigniederlassung tätig zu werden. Tatsächlich habe sie hiervon jedoch – so der Beschluss – zu keinem Zeitpunkt Gebrauch gemacht. Wegen der Einzelheiten wird auf den Gesellschafterbeschluss vom 06.07.2007 und die Handelsregisteranmeldung vom 10.07.2007 Bezug genommen.
Die Ltd. hatte seit ihrer umsatzsteuerlichen Registrierung in Deutschland zunächst nahezu ausnahmslos Umsatzsteuer-Voranmeldungen eingereicht, aus denen sich Vergütungsbeträge ergaben. Eine Umsatzsteuerjahreser...