Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestimmter Sachverhalt im Sinne des § 174 Absatz 4 AO

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Die entgeltliche Weitergabe von Blanko-Versicherungsbestätigungen des Stpfl. als Versicherungsmakler ist ein „einheitlicher Sachverhalt” i.S. des § 174 Abs. 4 AO, der bei der USt dazu führt, dass diese nach § 4 Nr. 11 UStG nicht erhoben wird, die aber gleichzeitig dazu führt, dass ertragsteuerlich die zu erfassenden Einnahmen als Nettoeinnahmen zu behandeln sind.

2) Es ist unerheblich, dass die Folgeänderung nicht auf die gleiche Rechtsfolge gerichtet ist bzw. dass unterschiedliche Steuerarten betroffen sind.

 

Normenkette

UStG § 4 Nr. 11; AO § 174 Abs. 4

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 17.03.2022; Aktenzeichen XI R 5/19)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Änderung der Körperschaftsteuerbescheide 2011 und 2012 nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO.

Die Klägerin, eine GmbH, vermittelte in den Streitjahren u.a. elektronische Versicherungsbestätigungen (eVB) für die Zulassung von Fahrzeugen, die sie wiederum von ihren Lieferanten erhielt. Bei einem Teil der eVB erfolgte keine Vermittlung an die Käufer von Fahrzeugen, sondern an andere Unternehmen. Aus dieser Tätigkeit erzielte die Klägerin Einnahmen i.H.v. 17.526,45 € (2011) und 52.603,10 € (2012), die sie als umsatzsteuerfrei nach § 4 Nr. 11 UStG behandelte und insoweit antragsgemäß zur Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer veranlagt wurde.

Im Rahmen einer Betriebsprüfung im Jahr 2014 vertrat der Beklagte – unter Verweis auf ein Urteil des Finanzgerichts Münster vom 31.01.2013 (5 K 189/10 U, EFG 2013, 727) – die Auffassung, dass die entgeltliche Weitergabe von Blanko-Versicherungsbestätigungen der Umsatzsteuer zu unterwerfen sei und behandelte die hierauf entfallenden Einnahmen als Bruttoeinnahmen. Dementsprechend wurden die bisher erklärten Umsatzsteuerbeträge um 2.798,34 € für das Jahr 2011 und 8.398,81 € für das Jahr 2012 sowie die bisher erklärten Vorsteuerbeträge um 219,86 € (2011) und 640,91 € (2012) erhöht. Der Gewinn der Klägerin wurde entsprechend gemindert.

Im Anschluss ergingen neben geänderten Umsatzsteuerbescheiden mit Datum vom 12.05.2014 geänderte Körperschaftsteuerbescheide in denen die Körperschaftsteuer für das Jahr 2011 auf 27.002 Euro und für das Jahr 2012 auf 10.445 € festgesetzt wurde.

Das gegen die geänderten Umsatzsteuerbescheide geführte Einspruchsverfahren ruhte in der Folgezeit bis zur Entscheidung des beim BFH unter dem Az. V R 9/13 anhängigen Revisionsverfahrens gegen das oben bezeichnete Urteil des Finanzgerichts Münster, mit der der BFH die Rechtsauffassung der Klägerin bestätigte (BFH-Urteil vom 24.07.2014, V R 9/13, BFH/NV 2014, 1783).

Mit Umsatzsteuerbescheiden vom 26.04.2016 half der Beklagte daraufhin den Einsprüchen der Klägerin ab und erließ unter dem 01.07.2016 für das Jahr 2011 bzw. dem 12.07.2016 für das Jahr 2012 nach § 174 Abs. 4 AO geänderte Körperschaftsteuerbescheide in denen die zuvor durchgeführten Gewinnminderungen für das Jahr 2011 i.H.v. 2.579 € und für das Jahr 2012 i.H.v. 7.758 € rückgängig gemacht wurden.

In dem gegen die geänderten Körperschaftsteuerbescheide unter Verweis auf das Urteil des FG München vom 08.05.2014 (15 K 2272/11) geführten Einspruchsverfahren vertrat die Klägerin die Auffassung, dass die Bescheide nicht nach § 174 Abs. 4 S. 1 AO hätten geändert werden dürfen. Der Begriff des bestimmten Sachverhalts im Sinne des § 174 Abs. 4 S. 1 AO sei auf einen einheitlichen Lebensvorgang bezogen, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpfe. Die Regelung könne nur Anpassungen erfassen, die unmittelbar aus dem Sachverhalt und nicht aus den steuerlichen Folgen dieses Sachverhalts resultierten. Ergebe sich auf Antrag des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten eine Änderung der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung eines Sachverhalts, so würden sich daraus folgende erforderliche Änderungen bei der Einkommensteuer nicht aus dem Sachverhalt selbst, sondern nur aus der Rechtsfolge aus diesem Sachverhalt ergeben.

Mit Einspruchsentscheidung vom 07.04.2017, auf die im Einzelnen verwiesen wird, wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Im Rahmen des Einspruchsverfahrens seien die Umsatzsteuerbescheide zu Gunsten der Klägerin geändert worden, da sich die Rechtsauffassung des Finanzamts als unrichtig erwiesen habe. Dies berechtige den Beklagten nach § 174 Abs. 4 S. 1 AO die richtigen steuerlichen Folgerungen aus dem Sachverhalt der Steuerfreiheit dieser Umsätze zu ziehen und die auf der irrigen Annahme der Erzielung umsatzsteuerpflichtiger Einkünfte beruhenden Körperschaftsteuerbescheide zu ändern. § 174 Abs. 4 S. 1 AO erlaube aus demselben – unveränderten und nicht durch weitere Tatsachen ergänzten – Sachverhalt steuerliche Folgerungen in einem anderen Steuerbescheid zu ziehen. Dies sei hier geschehen. Es seien die richtigen steuerlichen Folgerungen aus dem Sachverhalt und nicht aus den steuerlichen Folgerungen dieses Sachverhalts gezogen worden (vgl. auch FG München, Urteil vom 29.04.2003 2 K 2925...

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