Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtigkeit einer Steuerschätzung
Leitsatz (redaktionell)
Willkürlich und nichtig i.S.d. § 125 Abs. 1 AO ist ein Schätzungsbescheid, wenn das Schätzungsergebnis trotz vorhandener Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären und die Schätzungsgrundlagen zu ermitteln, krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht und in keiner Weise erkennbar ist, dass überhaupt und ggf. welche Schätzungserwägungen angestellt wurden - wenn somit ein "objektiv willkürlicher" Hoheitsakt vorliegt. Die Schätzung darf nicht dazu verwendet werden, die Steuererklärungspflichtverletzung zu sanktionieren und den Kläger zur Abgabe der Erklärungen anzuhalten.
Normenkette
AO § 125 Abs. 1
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Nichtigkeit der Umsatzsteuerfestsetzung für 2008.
Der Kläger hatte zum ….1996 ein Gewerbe als „Handelsvertreter” angemeldet und erwirtschaftete aus dieser Tätigkeit jedenfalls seit dem Jahr 1997 Provisionserlöse von verschiedenen Versicherungsgesellschaften und einer Bausparkasse. Daneben hatte er als Einzelunternehmer bis einschließlich 1999 den „Fernsehservice A” betrieben.
Da der Kläger seinen Steuererklärungspflichten spätestens seit dem Veranlagungszeitraum 1997 nicht mehr nachgekommen war, leitete das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung B gegen ihn am 12.12.2008 eine Steuerfahndungsprüfung für die Jahre 1997 bis 2006 ein. Dabei wurden aufgrund eines richterlichen Beschlusses auch die Räumlichkeiten des Klägers durchsucht und am 27.1.2009 diverse Unterlagen beschlagnahmt. Die Beschlagnahme erstreckte sich ausweislich des Rückgabeprotokolls (vgl. Bl. 76 f. d.A.) unter anderem auch auf die Ordner mit der Bezeichnung „C”, „D”, „E” sowie „F”. Die in diesen Ordnern enthaltenen Unterlagen bezogen sich auf die Besteuerungszeiträume 2008 und 2009. Die Rückgabe der beschlagnahmten Gegenstände/Ordner erfolgte am 4.11.2010.
Der Bericht über die Steuerfahndungsprüfung vom 8.9.2009 enthält Feststellungen sowohl zur Einkommensteuer als auch zur Gewerbesteuer und zur Umsatzsteuer. Hinsichtlich der Einkommensteuer und Gewerbesteuer wurden unter anderem Gewinne aus Gewerbebetrieb in folgender Höhe ermittelt:
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1997 (DM) |
1998 (DM) |
1999 (DM) |
2004 (Euro) |
2005 (Euro) |
2006 (Euro) |
Fernsehservice |
15.000 |
16.500 |
40.000 |
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Versicherungsprovisionen |
32.390 |
91.950 |
109.335 |
87.711 |
43.794 |
17.226 |
Gewerbl. Photovoltaik |
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200 |
1200 |
1500 |
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Hinsichtlich der Umsatzsteuer enthält der Bericht über die Steuerfahndungsprüfung folgende Einzelfeststellungen:
„Die in der Anlage 1 des Prüfungsberichts aufgeführten Einnahmen (Anm.: die Versicherungsprovisionen) unterliegen nicht der Umsatzsteuer, da sie nach § 4 Nr. 11 UStG von der Umsatzsteuer befreit sind. Umsatzsteuerveranlagungen sind für die Kalenderjahre 2000 bis 2006 nicht durchzuführen. In den Jahren 1997 bis 1999 kommt es zu keinen Änderungen.” Für nähere Einzelheiten wird auf die Ausführungen im Bericht vom 8.9.2009 (Bl. 39 ff. d.A.) Bezug genommen.
Der Kläger war aufgrund der während der Fahndungsprüfung gewonnenen Erkenntnisse seit September 2007 nicht mehr mit seiner eigenen Versicherungsagentur am Markt aufgetreten, sondern als Versicherungsvermittler nur noch für einen Dritten tätig, von dem er noch im Dezember 2008 Provisionserlöse aus der Versicherungsvermittlung vereinnahmt hatte.
Da der Kläger seiner Steuerklärungspflicht auch für das Jahr 2008 nicht nachgekommen war, schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen und setzte unter anderem die Umsatzsteuer für 2008 mit einem nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerbescheid vom 18.12.2009 auf 9.500 Euro fest. Dabei legte er ausweislich des sich in der Steuerakte befindenden Ausdrucks der eingegebenen Daten einen umsatzsteuerpflichtigen Jahresumsatz von 50.000 Euro zu Grunde. Vorsteuern wurden nicht berücksichtigt. Als Erläuterung war auf dem mit Datum vom 30.11.2009 unterzeichneten Ausdruck der eingegebenen Daten der Hinweis „Testkäufer nicht Vers. Vertreter!” vermerkt. Anhaltspunkte über die Ermittlung der Höhe des geschätzten Umsatzes sowie dazu, weshalb der Beklagte nunmehr davon ausging, dass der Kläger im Jahr 2008 umsatzsteuerpflichtige Umsätze aus einer Tätigkeit als Testkäufer erzielte, lassen sich den Steuerakten nicht entnehmen. Ein gesonderter Eingabe- oder Berechnungsbogen betreffend die Ermittlung oder Zusammensetzung des geschätzten Betrags von 50.000 Euro ist in den Steuerakten nicht vorhanden.
Der Kläger legte gegen den Umsatzsteuerbescheid am 30.12.2009 Einspruch ein und reichte eine unterschriebene Umsatzsteuererklärung für 2008 ein. Die Umsatzsteuererklärung enthielt den Hinweis, dass eine Anlage UR nicht beigefügt sei, weil darin keine Angaben zu machen seien. In der Umsatzsteuererklärung war unter der Rubrik „B. Angaben zur Besteuerung der Kleinunternehmer (§ 19 Abs. 1 UStG)” der Umsatz für die Kalenderjahre 2007 und 2008 jeweils mit 0 Euro angegeben.
Der Beklagte wies den Kläger mit Schreiben vom 5.1.2010 darauf hin, dass der Einspruch nicht begründet sei und forderte ...