Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermittlungspflichtverletzung des Finanzamts im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO
Leitsatz (redaktionell)
1. Verzichtet das FA gegenüber dem Steuerpflichtigen ausdrücklich auf die Abgabe einer förmlichen Erklärung und fordert ihn stattdessen zu bestimmten Angaben auf, verletzt es seine Ermittlungspflicht, wenn die geforderten Angaben für die Ermittlung des für die Steuerfestsetzung maßgebenden Sachverhalts nicht ausreichen und es auch später vor Erlass des Bescheids keine weiteren Fragen stellt.
2. Erfüllt der Stpfl. in einem solchen Fall seinerseits seine Mitwirkungspflichten, indem er die vom FA gestellten Fragen zutreffend und vollständig beantwortet, ist das FA nach Treu und Glauben an einer Änderung der bestandskräftigen Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gehindert, wenn es später Kenntnis von steuerbegründenden Tatsachen erlangt.
3. Der Stpfl. ist nicht verpflichtet, auf der Grundlage der maßgebenden steuerrechtlichen Vorschriften zu prüfen, ob die vom FA erbetenen Angaben eine zutreffende Steuerfestsetzung ermöglichen oder ob dazu weitere Angaben erforderlich wären.
Normenkette
GewStG § 35b; AO §§ 88, 173 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags 2015 (Klage der Klägerin zu 1.; GmbH & Co. KG) und der gesonderten und einheitlichen Feststellung von Einkünften 2015 (Klage der Klägerin zu 2.; GmbH & Co. KG in Prozessstandschaft für ihre Gesellschafter) vorrangig über die Frage, ob bestandskräftige Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) zulasten des Steuerpflichtigen geändert werden durften. Nachrangig wird über die Höhe eines Entnahmegewinns eines Grundstücks aus dem Sonderbetriebsvermögen gestritten.
Die Klägerin ist eine GmbH & Co. KG (nachfolgend auch „Gesellschaft” genannt), deren Geschäftsgegenstand ausweislich des Handelsregisters die Herstellung von … ist. Ihr alleiniger, zu 100 % am Gewinn, Verlust und Vermögen der Gesellschaft beteiligter Kommanditist ist der Beigeladene Herr A. Komplementärin ohne Kapitalbeteiligung ist die Firma B-GmbH. Die Gesellschaft ermittelt ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 i.V.m. § 5 Einkommensteuergesetz (EStG).
Im Streitjahr wurde ein unbebautes Teilstück (250 m²) einer größeren (nach Angaben der Klägerinnen sowie des Beigeladenen bereits seit langer Zeit bebauten) Grundstücksfläche aus dem Sonderbetriebsvermögen des Beigeladenen entnommen, um hierauf in der Folgezeit ein Mehrfamilienhaus zu errichten. Das betreffende Grundstück liegt an der Südseite der Cstraße in D auf Höhe des E-Platzes bzw. auf Höhe eines angrenzenden Parkplatzes und Geschäften. Die Cstraße in D war und ist ausweislich öffentlich einsehbarer Kartenunterlagen eine Straße südlich der Innenstadt von D. Die nähere Umgebung weist seit langer Zeit eine Mischbebauung mit Geschäfts- und Bürogebäuden, Einzelhandelsbetrieben, Handwerksbetrieben und Wohnbebauung auf.
Im Mai 2017 reichte die – durch Steuerberaterin F aus G fachlich beratene – Klägerin die Feststellungserklärung 2015 ein. Darin deklarierte sie u.a. einen Entnahmeverlust aus dem Sonderbetriebsvermögen des Beigeladenen durch die Grundstücksentnahme. Ausweislich der Steuerakten ist der Fall der „Risikoklasse I” zugeordnet und unterliegt als „I-Fall” (Intensivprüfungsfall) einem Zeichnungsvorbehalt des Sachgebietsleiters.
Unter dem 19. Juni 2017 erließ der Beklagte einen Feststellungsbescheid (festgestellter Gesamtgewinn: 187.747 €) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (VdN) nach § 164 AO, der im Erläuterungstext ausführte:
„Bitte reichen Sie innerhalb von vier Wochen nach Erhalt dieses Bescheides folgende Erläuterungen und Nachweise hinsichtlich der Entnahme des Teilgrundstücks Cstr. 1 aus dem Sonderbetriebsvermögen von A (sic!) ein: Wie würde (sic!) der Entnahmewert des Teilgrundstücks i.H.v. 7.500 € (Ertrag aus dem Abgaben von Anlagegegenständen) ermittelt? Wie wurde der Wert des Abgangs aus dem Anlagevermögen für das Teilgrundstück i.H.v. 12.500 € berechnet?”
Unter dem 28. Juni 2017 (siehe Blatt – Bl. – 74 der elektronischen Gerichtsakte – eGA) erteilte der Beklagte der Klägerin – ebenfalls unter VdN – außerdem einen Gewerbesteuermessbescheid für 2015 (Messbetrag: 5.621 €).
Mit Schreiben vom 7. August 2017 erinnerte die Veranlagungsstelle (Frau H) die Steuerberaterin der Klägerin an die Beantwortung der Fragen.
Am 6. September 2017 ging ein (fehlerhaft auf den 29. Dezember 2016 datierendes) Schreiben der Steuerberaterin ein, mit dem sie eine Berechnung des Entnahmeverlustes, einen Ausdruck (als sog. Screenshot / Bildschirmausdruck) aus dem Bodenrichtwertsystem Nordrhein-Westfalen (BORIS NRW) sowie einen A3-Grundstücksplan vorlegte.
In der Berechnung (siehe Anlage K1 zur Klagebegründung, Bl. 36 eGA) wurde ein Entnahmeverlust von 5.000 € ausgewiesen, der aus einer Gegenüberstellung von Anschaffungskosten von 50 € je m² und einem Entnahmewert von 30 € je m² ermittelt wurde (250 m² und 20 € Entnahmeverlust je m² = 5.000 ...