Entscheidungsstichwort (Thema)
Bekanntgabe von Bescheiden an die gemeinsame Adresse von Eheleuten
Leitsatz (redaktionell)
1) Die Vereinfachungsregelung des § 122 Abs. 7 AO - Bekanntgabe an die gemeinsame Adresse von Eheleuten - setzt keine gemeinschaftlich unterschriebene Steuererklärung voraus, sondern ist auch in Schätzfällen anwendbar.
2) Meinungsverschiedenheiten unter den Eheleuten hindern die Anwendung des § 122 Abs. 7 AO nur dann, wenn sie dem FA positiv bekannt sind. Das FA muss die Umstände insoweit kennen, als sie weiß, dass das persönliche Vertrauensverhältnis unter den Eheleuten zerstört ist. Bloßes Kennen müssen des FA genügt nicht.
Normenkette
AO § 122 Abs. 7
Tatbestand
Die Beteiligten streiten in verfahrensrechtlicher Hinsicht über die Zulässigkeit eines Einspruchs gegen die Festsetzung der Einkommensteuer und eines Verspätungszuschlags für 2012.
Da die steuerlich nicht beratene Klägerin und ihr zwischenzeitlich getrennt lebender Ehemann für das Streitjahr keine Steuererklärung abgegeben hatten, schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Einkommensteuer für 2012 sowie daneben einen Verspätungszuschlag in Höhe von 190 Euro mit Bescheid vom 19.9.2013 fest. Der Steuerbescheid war im Adressfeld an die Klägerin und ihren Ehemann unter der dem Beklagten zu diesem Zeitpunkt bekannten gemeinsamen Anschrift der Eheleute („A-Straße … in … B”) gerichtet.
Einen zuvor gestellten Fristverlängerungsantrag der Klägerin und ihres Ehemannes vom 23.7.2013 für die Abgabe der Einkommensteuererklärung 2012 hatte der Beklagte am 23.7.2013 mit der Begründung abgelehnt, dass die Steuererklärungen bereits bis zum 29.7.2013 angefordert seien und die Steuererklärungen in der Vergangenheit nicht oder verspätet abgegeben worden seien. Auch dieses Schreiben war an die gemeinsame Anschrift der Klägerin und ihres Ehemannes gerichtet.
Mit Schreiben vom 18.1.2013 hatten die Klägerin und ihr Ehemann beim Beklagten zudem hinsichtlich der im vorliegenden Verfahren nicht streitigen Einkommensteuerfestsetzung für 2011 um eine „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO” gebeten und unter Bezugnahme auf eine beim Ehemann der Klägerin im Oktober 2011 durchgeführte Schulteroperation sowie ärztliche Folgebehandlungen ausgeführt, dass der Ehemann erst ab dem 30.10.2012 wieder berufstätig sei. Das Schreiben enthielt im Briefkopf die Namen der Klägerin und ihres Ehemanns unter der gemeinsamen Anschrift („A-Straße … in … B”). In dem Schreiben wurde zur Begründung im Einzelnen Folgendes ausgeführt:
„Seit Mai 2011 bin ich, Herr C, krank und in ärztlicher Behandlung. Ich bin am 28.10.2011 an der linken Schulter operiert worden. Wegen starker Schmerzen und Entzündung der linken Schulter musste ich die Rehabilitation dreimal verschieben. Erst am 14.3.2012 konnte ich eine fünfwöchige Rehabilitation in Anspruch nehmen. Am 19.4.2012 habe ich trotz Schmerzen ein sechswöchiges „Hamburger Modell” zwecks Wiedereingliederung aufgenommen. Vom 31.5.2012 bis zum 12.6.2012 konnte ich erst einmal meinen alten Beruf mehr schlecht als recht ausführen. Für dreizehn Arbeitstage. Am 13.6.2012 bin ich wegen einem dreifachen Bandscheibenvorfall an der Halswirbelsäule wieder arbeitsunfähig geworden. Nach dreimaliger MRT-Behandlung habe ich am 17.9.2012 bis zum 29.10.2012 wieder das „Hamburger Modell” zwecks Wiedereingliederung aufgenommen. Seit 30.10.2012 bin ich wieder am arbeiten und musste Ende Oktober in eine neue Arbeitsstelle wechseln, da ich wegen der Schmerzen meinen alten Beruf nicht mehr ausüben kann. Bis heute bin ich noch in ärztlicher Behandlung. Siehe ärztliche Bescheinigung.
Durch die lange Krankheit, vor allem wegen der starken Schmerzen, bin ich bis heute in meiner Handlungsweise eingeschränkt. Die neue Arbeitsstelle verlangt mir bis jetzt einiges ab, da ich mich erstmal an die neue Arbeit und das Umfeld gewöhnen muss. Es belastet mich sehr. Hinzu kommt die enorme Belastung meiner Ehefrau, die durch ihre Wechselschicht als Intensivschwester (früh, spät, nachts) in Vollzeit, unsere beiden Kinder (ein Kind mit starken schulischen Problemen) und die zusätzliche Belastung wegen meiner Krankheit vollkommen ausgeschöpft ist.
Ich fühle mich bis heute noch nicht 100 % einsatzfähig bzw. eingeschränkt.
Durch diesen Umstand waren wir leider nicht im Stande oder besser gesagt, sind viele Dinge in den Hintergrund gerückt. Es tut uns sehr leid, aber auch unsere Ehe leidet besonders darunter. Wir geben Ihnen Recht, wenn Sie sagen, ein Anruf oder Zweizeiler hätte ihnen genügt. Fakt ist, dass solche einfachen Dinge für uns zurzeit nicht möglich sind, weil wir einfach momentan mit dieser Situation überfordert sind. Wir stecken in einer Lebenskrise und brauchen dafür die ganze Kraft. Zusätzlich belastet uns die Zahlungsaufforderung des Finanzamts, da wir so viel Geld nicht zur Verfügung haben, und somit ist es für uns sehr wichtig, dass Sie uns eine unverschuldete Fristversäumnis zugestehen und unsere Steuererklärung für 2011 bearbeiten und anerke...