rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Lieferung, geringwertige Ware, Kauf auf Probe
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der Zusendung von Waren handelt es sich dann nicht um eine Lieferung im Inland gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, wenn eine sog. bewegte Lieferung gem. § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG mit einem Lieferort im europäischen Ausland als Beginn der Warenbewegung gegeben ist.
2. Für die Unterscheidung zwischen bewegter und unbewegter Lieferung ist die Frage maßgebend, ob der Liefergegenstand zur Verschaffung der Verfügungsmacht befördert werden muss oder nicht. Wann dies bei einem Kauf auf Probe gem. § 454 BGB vorliegt, ist umstritten. Der erkennende Senat sieht die Zusendung der Ware vor Billigung beim Kauf auf Probe als für eine bewegte Lieferung hinreichende Verschaffung der Verfügungsmacht an.
Normenkette
UStG § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 3 Abs. 6 S. 1, § 5 Abs. 2 Nr. 3; EUStBVO § 1 Abs. 1; BGB § 454; UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligung streiten um die Umsatzsteuerpflicht bei Zusendung von Waren aus der Schweiz an Kundinnen in Deutschland für einen angenommenen „Kauf auf Probe”. Streitentscheidend für die Unterwerfung der Geschäftsvorfälle unter die inländische Umsatzbesteuerung ist u.a. die Frage, wann bei einem solchen Kauf eine „Lieferung” i.S.d. Umsatzsteuergesetzes – UStG – vorliegt, nämlich entweder im Zeitpunkt der Absendung aus der Schweiz oder erst im Zeitpunkt der Billigung des Kaufs durch die Kundinnen in Deutschland. Letzteres würde zu einer Steuerpflicht der Lieferung im Inland führen.
Grundsätzlich ist zwischen den Beteiligten die steuerliche Behandlung der Jahre 1999 bis 2004 streitig; im vorliegenden Verfahren hat die Klägerin den Bescheid über Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat Mai 1994 angefochten.
I.
Die Klägerin ist eine in den USA ansässige Kapitalgesellschaft; sie ist für Umsatzsteuerzwecke beim Beklagten mit einer Umsatzsteuer-Nummer erfasst. Die Klägerin handelte mit ddd, die sie über ein besonderes Vertriebssystem direkt an die Kundinnen in Deutschland verkaufte. Die Kundinnen waren ausschließlich Verbraucherinnen, d.h. Nichtunternehmerinnen.
Zunächst, d.h. etwa ab dem Jahr 1996, unterhielt die Klägerin eine unselbständige Zweigestelle in A (Nähe B). Daneben verfügte die Klägerin offenbar über eine Anlaufadresse in C (Nähe D). Der Geschäftsablauf gestaltete sich in den fraglichen Besteuerungszeiträumen wie folgt.
1. Die Klägerin – bzw. für sie die Zweigstelle – warb für ihre Produkte in Zeitschriftenbeilagen. Interessentinnen konnten durch Ausfüllen eines Formulars ein sogenanntes „Gratis-Exemplar” anfordern und damit für eine Anknüpfung der Geschäftsbeziehung sorgen (im Weiteren: Erstbestellung/Papierform). In dem Anzeigentext hieß es:
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00000 C. |
[später: Postfach 0000, 00000 E] |
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Gleichzeitig warb die Klägerin in ähnlicher Weise auch im Internet für ihre Produkte.
Der Anteil der Erstbestellungen (Papierform oder Internet) an den Umsätzen der Klägerin belief sich nach der unbestrittenen Behauptung der Klägerin ca. auf folgende Anteile:
Jahr 2000 |
85 v.H. |
Jahr 2001 |
14 v.H. |
Mai 2004 (Streitzeitraum) |
0 v.H. (wegen der zwischenzeitlich aufgetretenen Unsicherheit bei der steuerlichen Behandlung der Umsätze) |
2. Wenn die (Neu-)Kundinnen die Erstbestellung aufgegeben und sich damit erstmalig an die Klägerin gewandt hatten, antwortete diese wie folgt.
Vorderhand erhielten die Kundinnen die Warensendungen.
Die Zweigstelle bzw. die Anlaufadresse hatte das Bestellformular weiter in die USA zur Klägerin geleitet. Die Waren wurden überwiegend auch in den USA hergestellt und dann – entsprechend den Bestellungen – in ein Warenverteilzentrum in der Schweiz versandt.
In diesem Warenverteilzentrum wurden die Waren bestellungs- bzw. auftragsgemäß individuell verpackt und mittels von der Klägerin beauftragten Spediteuren und Frachtführern nach Deutschland verbracht. Die Klägerin fügte entsprechend den Angaben im ersten Formular dem Gratis-Exemplar zwei weitere Paare bei, welche die Interessentinnen bei Gefallen erwerben konnten...