Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzung der Einkünfte aus eBay-Verkäufen, ESt-Anspruch gegen das insolvenzfreie Vermögen
Leitsatz (redaktionell)
1) Das Finanzgericht hat gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO eine eigene Befugnis, die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen. Es ist nicht an die Schätzung des Finanzamtes gebunden, sondern kann sich an den von der Steuerfahndung angefertigten Auswertungen (hier zu eBay-Verkäufen) orientieren.
2) Übt der Steuerpflichtige im Insolvenzverfahren über sein Vermögen ohne Wissen und Billigung durch den Insolvenzverwalter eine selbständige Tätigkeit aus und gelangen die entsprechenden Erträge tatsächlich nicht zur Masse, wird keine Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet. Etwaige Steuern gehören dann zum insolvenzfreien Vermögen und sind unmittelbar gegenüber dem Schuldner festzusetzen.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 1 S. 1; InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1; EStG § 15 Abs. 1
Nachgehend
BFH (Aktenzeichen III R 4/17) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Anschluss an eine Steuerfahndungsprüfung über die Höhe der im Schätzungswege ermittelten Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb.
Der Kläger war seit 2006 Gesellschafter und Geschäftsführer der A GmbH, die sich unter anderem mit dem Handel von … befasste. Sitz der Gesellschaft war das Wohnhaus B-Straße … in P, wo der Kläger auch wohnte. Die GmbH wurde 2010 aufgelöst und 2011 im Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen gelöscht.
Der Kläger war außerdem selbstständig tätig. Auf seinen Antrag eröffnete das Amtsgericht P am ….2009 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers und bestellte die Rechtsanwältin F zur Insolvenzverwalterin. Durch Beschluss vom ….2012 hob das Amtsgericht das Insolvenzverfahren mangels zu verteilender Masse ohne Schlussverteilung auf. Hinsichtlich etwaiger, aus der Durchführung der Einkommensteuerveranlagung (anteilig) bis zur Aufhebung des Verfahrens entstehender bzw. entstandener Erstattungsansprüche des laufenden Kalenderjahres wurde die Nachtragsverteilung angeordnet.
Ebenfalls am ….2012 leitete das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung P gegen den Kläger wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einkommen- und Umsatzsteuer für 2010 und 2011 sowie Umsatzsteuervoranmeldungen für Januar bis September 2012 das Strafverfahren ein.
Der Einleitung des Strafverfahrens waren unter anderem eine Anzeige von Herrn R, dem Bruder des Klägers, sowie eine anonyme Anzeige vorausgegangen. Auf Ersuchen der Steuerfahndung ordnete das Amtsgericht P durch Beschluss vom ….2012 die Durchsuchung der Wohnung und der Geschäftsräume des Klägers in der B-Straße … sowie der Geschäftsräume und des Arbeitsplatzes in der Garage in der W-Straße … an. Die Durchsuchung wurde am ….2013 durchgeführt.
Die Prüfung führte zu folgenden Feststellungen. Der Kläger hatte in den Jahren 2010 und 2011 bei öffentlichen Versteigerungen regelmäßig … erworben und diese anschließend über das Internet … verkauft. Der Kläger war dort unter verschiedenen Benutzernamen (z. B. …) mit seinem Namen und der Anschrift B-Straße … in P angemeldet. Er verfügte über mehrere Mailadressen (z. B. …). Die Daten über die eBay abgewickelten Geschäfte ließen auf Umsätze von bis zu 120.000 EUR pro Jahr schließen. Die Zahlung erfolgte bei Übergabe jeweils in bar. Ferner hatte der Kläger in den Streitjahren Einnahmen aus der Reparatur und dem Handel mit … erzielt.
Der Kläger räumte die vorbezeichneten Geschäfte dem Grunde nach ein, bestritt aber die Höhe der Einnahmen. Die Internet-Geschäfte seien zu einem großen Teil seinem Bruder zuzurechnen, dem es immer wieder gelungen sei, seinen, des Klägers, Account zu hacken. Der Kläger hatte bereits vor Einleitung des Steuerstrafverfahrens seinen Bruder wegen Ausspähen von Daten (§ 202a StGB) und Datenveränderung (§ 303a StGB) angezeigt. Das Ermittlungsverfahren war jedoch von der Staatsanwaltschaft mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden. Abgesehen von den Einnahmen aus den Internet-Geschäften in 2012 machte der Kläger keine Angaben zur Höhe seiner Einnahmen.
Die Steuerfahndung schätzte einen Gewinn aus Gewerbebetrieb für 2010 i.H.v. 35.000 EUR, für 2011 i.H.v. 38.300 EUR und für 2012 i.H.v. 37.500 EUR. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht der Steuerfahndung vom 29.11.2013 verwiesen.
Gestützt auf den Prüfungsbericht setzte der Beklagte die Einkommensteuer für 2010 und 2011 durch die (erstmaligen) Bescheide vom 13.1.2014 auf 6.076 EUR und auf 6.551 EUR sowie durch Bescheid vom 7.10.2014 für 2012 auf 6.377 EUR gegen den Kläger fest.
Den Einspruch gegen die Bescheide für 2010 und 2011 begründete der Kläger nicht. Für 2012 begehrte er, lediglich Einkünfte in Höhe von 9.633 EUR zu erfassen. Die Einnahmen aus den Internet-Geschäften hätten nur 14.036 EUR betragen. Das ergebe sich aus den von seinem Konto bei der T-Bank abgebuchten Internet-Gebühren. Nach Abzug dieser Gebühren (1.403,69 EUR) und der Miete für das Lager in der W-Straße (3.000 EUR=12 X 250 EUR) ergäben sich Einkünfte i...