Entscheidungsstichwort (Thema)
Behinderungsbedingte Unfähigkeit eines verheirateten behinderten Kindes zum Selbstunterhalt. Unterhaltsanspruch des Kindes gegenüber dem Ehemann. zum Unterhalt geeignete eigene Bezüge des Kindes
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der für jeden Kalendermonat vorzunehmenden Prüfung, ob ein verheiratetes behindertes Kind behinderungsbedingt außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, ist zu unterstellen, dass sich die Eheleute ihr verfügbares Einkommen teilen. Unterhaltsleistungen sind daher in Höhe der Hälfte der Differenz zwischen den Einkünften des unterhaltsverpflichteten Ehepartners und den geringeren eigenen Mitteln des Kindes anzunehmen. Reichen die Einkünfte des Ehepartners für den vollständigen Unterhalt des behinderten Kindes aus und liegt kein weiterer Berücksichtigungstatbestand gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG und § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG vor, entfällt der Kindergeldanspruch.
2. Zu den zur Bestreitung des Unterhalts des verheirateten behinderten Kindes geeigneten Bezügen gehört von dem Kind bezogenes Elterngeld, nicht dagegen eine von dem Kind bezogene Rente nach § 1 des Opferentschädigungsgesetzes. Unterhaltszahlungen des Kindes an dessen eigene Kinder sind nicht zum Abzug zuzulassen.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3
Tenor
Der Kindergeldaufhebungsbescheid vom 21. Januar 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. März 2020 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in der entsprechenden Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert beträgt 612,00 EUR.
Tatbestand
Streitig ist die Kindergeldberechtigung betreffend die am … geborene A und in der Sache, ob Frau A aufgrund ihrer eigener Einkünfte (1.), dem Unterhaltsanspruch gegenüber ihrem Ehemann (2.) und den Einkünften ihres Ehemannes (3.) zum Selbstunterhalt im Stande ist.
Frau A ist die Tochter des Klägers und verheiratet mit Herrn B. Sie sind Eltern zweier minderjähriger Kinder. Frau A gehört zum Personenkreis der behinderten Menschen. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales Mecklenburg-Vorpommern hat zuletzt durch Bescheid vom … den Grad der Behinderung mit 40 festgestellt.
Das Landesamt für Gesundheit und Soziales Mecklenburg-Vorpommern hat durch Bescheid vom … der Tochter des Klägers Bundeselterngeld gemäß § 1 Bundeselterngeldgesetz (BEEG) bewilligt, das in den streitbefangenen Monaten monatlich 300,00 EUR betrug.
Das Landesamt für Gesundheit und Soziales Mecklenburg-Vorpommern hat durch Bescheid vom … der Tochter des Klägers Versorgungsansprüche gemäß § 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) ab dem 01. Mai 2010 bewilligt, die in den streitbefangenen Monaten monatlich gezahlten Versorgungsbezüge betrugen 151,00 EUR.
Das Amt C setzte durch Bescheid vom 15. Mai 2019 für den Zeitraum von 01. Februar 2019 bis zum 31. Januar 2020 für Herrn B Wohngeld i. H. v. monatlich 248,00 EUR fest. Bei der Wohngeldberechtigung wurden neben der Tochter des Klägers ihr Ehemann sowie ihre zwei Kinder berücksichtigt. Das Amt C setzte durch Bescheid vom 15. Oktober 2019 für den Zeitraum von 01. Oktober 2019 bis zum 30. September 2020 für Herrn B Wohngeld i. H. v. monatlich 341,00 EUR fest. Bei der Wohngeldberechtigung wurden neben der Tochter des Klägers ihr Ehemann sowie ihre zwei Kinder berücksichtigt. Das Wohngeld für den Monat Oktober 2019 i. H. v. 248,00 EUR wurde am 30. September 2019, das Wohngeld für den Monat November i. H. v. 434,00 EUR wurde am 30. Oktober 2019 und das Wohngeld für den Monat Dezember 2019 i. H. v. 341,00 EUR am 29. November 2019 dem Girokonto des Ehemanns der Tochter des Klägers gutgeschrieben.
Mit Bescheid vom 21. Januar 2020 wurde die Kindergeldfestsetzung ab dem Monat Oktober 2019 gemäß § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) mit der Begründung aufgehoben, dass das Kind A wegen ihrer eigenen finanziellen Mittel und der ihres Ehemannes ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren könne.
Der Kläger, vertreten durch seine Tochter, legte am 29. Januar 2020 gegen den Bescheid Einspruch ein. Zur Begründung trug er vor, dass seine Tochter ein behindertes Kind über 18 Jahre und nicht fähig sei, sich selbst zu unterhalten.
Durch gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheid vom 27. März 2020 wurde dem Einspruch ab dem Monat Januar 2020 abgeholfen. Der Bescheid wurde gemäß § 365 Abs. 3 AO zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens.
Mit Einspruchsentscheidung vom 31. März 2020 wurde der Einspruch für den noch streitigen Zeitraum als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Tochter des Klägers aufgrund des Ehegattenunterhaltes nicht außerstande sei, sich selbst zu unterhalten. Dabei ermittelte die Beklagte den Bedarf der Tochter der Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum mit 2.745,00 EUR und das verfügbare Nettoeinkommen mit 3.078,...