Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer 1993
Nachgehend
Tenor
Abweichend von dem Bescheid vom 10. Oktober 1994 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. Februar 1995 wird die Einkommensteuer 1993 auf … festgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert beträgt …
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob der Beklagte der Klägerin zu Recht für die Tochter … den Kinderfreibetrag nur zur Hälfte gewährt hat.
Das am … 1976 geborene Kind war im Streitjahr Schülerin. … lebte im Haushalt der Klägerin. Der geschiedene Mann der Klägerin und Vater des Kindes, der Beigeladene, zahlt aufgrund des Urteils des Kreisgerichts … vom 13. Oktober 1980 seit dem 12. Lebensjahr des Kindes einen Unterhaltsbeitrag von … (jetzt DM). Unstreitig hat der Beigeladene diesen Unterhaltsbeitrag auch im Streitjahr geleistet.
Mit dem Einkommensteuerbescheid 1993 vom 10. Oktober 1994 berücksichtigte der Beklagte nur den halben Freibetrag für die Tochter der Klägerin. Zur Begründung erläuterte er, daß der volle Kinderfreibetrag nicht gewährt werden könne, da der Vater seiner Unterhaltsverpflichtung nachgekommen sei.
Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. In der zurückweisenden Einspruchsentscheidung vom 23. Februar 1995 führte der Beklagte im wesentlichen aus, daß der Beigeladene die durch Gerichtsurteil festgelegte Unterhaltsverpflichtung zu 100 % erfüllt habe.
Mit der hiergegen erhobenen Klage macht die Klägerin im wesentlichen folgendes geltend:
An die Stelle des 1980 nach den Richtlinien des obersten Gerichtes der DDR festgesetzten Unterhaltsanspruches sei inzwischen die Unterhaltspflicht des BGB getreten. Daran ändere nichts, daß nach dem Einigungsvertrag das Urteil aus dem Jahre 1980 noch zur Zwangsvollstreckung genutzt werden könne. Die vom Vater des Kindes gezahlten … seien nicht mehr als ein Taschengeld. Somit stehe fest, daß er nur unwesentlich zum Unterhalt beitrage. Die inzwischen volljährig gewordene Tochter könne nicht dazu bewegt werden, eine Abänderungsklage nach § 323 ZPO zu erheben. Sie müßte dann befürchten, daß ihr Vater die Unterhaltszahlungen gänzlich einstelle. Bei seiner freiberuflichen Tätigkeit sei eine Möglichkeit, höheren Unterhalt einzuklagen, nicht durchsetzbar. Entscheidend sei allein, wer den tatsächlichen Unterhalt aufbringe.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
abweichend von dem Bescheid vom 10. Oktober 1994 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. Februar 1995 bei der Festsetzung der Einkommensteuer 1993 das zu versteuernde Einkommen um … zu mindern.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte bleibt weiterhin bei seiner bisherigen Auffassung.
Zum Az.: … hat der erkennende Senat mit Beschluß vom 24. April 1995 die Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides 1993 ausgesetzt.
Dem Gericht lagen die Prozeßakte zur Aussetzung der Vollziehung (Az.: …) und die Einkommensteuerakte Band 1 des Beklagten vor.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte entscheiden, obwohl Klägerin und Beigeladener in der mündlichen Verhandlung weder anwesend noch vertreten waren (§ 91 Abs. 2 FGO).
Die Klage ist begründet.
Nach § 32 Abs. 6 Satz 4 EStG (ab Veranlagungszeitraum 1994 Satz 5) ist im vorliegenden Fall auf Antrag der Klägerin der vom Beklagten dem Beigeladenen zuerkannte halbe Kinderfreibetrag auf sie zu übertragen, da sie, nicht jedoch der Vater des Kindes der Unterhaltspflicht für das Kalenderjahr 1993 im wesentlichen nachgekommen ist.
Die Klägerin hat durch Aufnahme des Kindes in den Haushalt ihre Unterhaltspflicht vollständig erfüllt. Es ist zwar unstrittig, daß der Vater der im Jahre 1976 geborenen Tochter … den aufgrund des Urteils des Kreisgerichts vom 13. Oktober 1980 zu zahlenden Unterhalt von (jetzt) … geleistet hat. Die der Zahlung zugrunde liegende gerichtliche Entscheidung gilt auch nach der Wiedervereinigung fort (Art. 18 Abs. 1 Einigungsvertrag). Doch kann das Unterhaltsurteil des Kreisgerichtes aus dem Jahre 1980 heute nicht mehr als Maßstab für die Erfüllung der Unterhaltsverpflichtung des Jahres 1993 zugrunde gelegt werden.
Zwar heißt es im Abschnitt 181 a Abs. 1 Satz 2 EStR (an den das Gericht nicht gebunden ist), daß Feststellungen über die Höhe der Unterhaltsverpflichtung nach Unterhaltstabellen (z. B.: „Düsseldorfer Tabelle”) nur zu treffen seien, „soweit die Höhe nicht durch gerichtliche Entscheidung” festgelegt sei. Für den Regelfall ist es auch vertretbar, wenn eine gerichtliche Entscheidung grundsätzlich Maßstab für die Prüfung ist, ob ein Elternteil seine Unterhaltspflicht im wesentlichen erfüllt hat. Das ist allerdings nach dem Wortlaut des § 32 Abs. 6 Satz 4 EStG nicht ...