Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit einer öffentlichen Zustellung bei Verzug ins Ausland

 

Leitsatz (redaktionell)

Die öffentliche Zustellung ist erst zulässig, wenn alle anderen Möglichkeiten, dem Empfänger das Schriftstück zu übermitteln, erschöpft sind. Eine ergebnislose Abfrage beim Einwohnermeldeamt reicht jedoch dann nicht aus, wenn es die konkrete Sachverhaltsgestaltung – auch unter Berücksichtigung etwaiger steuerlicher Mitwirkungspflichten – nahelegt, bei anderen Personen oder Einrichtungen weitere Auskünfte einzuholen.

 

Normenkette

AO § 122 Abs. 3, 5; VwZG § 10; GG Art. 103 Abs. 1; EStG § 68 Abs. 1

 

Tenor

1. Die Einspruchsentscheidung vom 12. Februar 2018 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Aufhebung der Einspruchsentscheidung. Streitig ist, ob ein Bescheid im Wege der öffentlichen Zustellung bekanntgegeben werden durfte.

Die Klägerin ist Mutter der Kinder G (geb. 1983), T (geb. 1990), M (geb. 1992), J1 (geb. 1997), J2 (geb. 2000) und F (geb. 2002), für die sie Kindergeld bezog.

Im Juli 2014 wurde die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind T aufgehoben. Der Bescheid war an die Adresse … adressiert. Gegen diesen – hier nicht streitgegenständlichen Bescheid – legte die Klägerin per E-Mail vom 1. August 2014 Einspruch ein. Hierin bat sie um weitere Kommunikation per E-Mail, da sie sich im Rahmen ihres Studiums zu Forschungszwecken im Ausland befinde. Auch in weiteren Angelegenheiten hatte die Klägerin über die Jahre hinweg ihrerseits bereits mehrfach von der immer gleichen E-Mail-Adresse Kontakt zur Beklagten aufgenommen (Mail vom 25. Oktober 2012, Bl. 117 der Kindergeld-Akte; Mail vom 16. Februar 2013, Bl. 121 der Kindergeld-Akte; Mail vom 6. April 2013, Bl. 125 der Kindergeld-Akte; 8. August 2014, Bl. 143 der Kindergeld-Akte).

Infolge eines Datenabgleichs mit dem Einwohnermeldeamt vom 6. Dezember 2014 wurde der Beklagten bekannt, dass die Klägerin und ihre Kinder J1, J2 und F seit dem 1. September 2013 nach … abgemeldet wurden. Die Eingangsbestätigung des Einspruchs wurde am 16. März 2015 gleichwohl an die bisher bekannte Adresse in O versandt. Das Schreiben kam am 23. März 2015 mit dem Vermerk ”Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln” zurück. Infolge einer Anfrage beim Einwohnermeldeamt vom 13. Mai 2015 wurde der Beklagten die Abmeldung der Klägerin nach … seit dem 1. September 2013 bestätigt.

Mit Bescheid vom 17. Juni 2015 hob die Beklagte daher die Kindergeldfestsetzungen gegenüber der Klägerin für die Kinder T, M, J1, J2 und F ab dem Monat September 2013 auf und forderte das bis einschließlich März 2015 überzahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 17.052 EUR zurück. Der Aufhebungs bescheid wurde öffentlich zugestellt. Als Begründung gab die Beklagte an, dass die Klägerin seit 1. September 2013 ins Ausland (…) verzogen und Näheres nicht bekannt sei. Vom 29. Juni 2015 bis 10. August 2015 wurde in den Räumen der Bundesagentur für Arbeit, Familienkasse …, eine Benachrichtigung für die Klägerin ausgehängt, dass sie – wohnhaft zuletzt unter der Anschrift O – einen für sie bestimmten Aufhebungsbescheid vom 17. Juni 2015, Az. … bei der Familienkasse …, während der Dienststunden in Empfang nehmen könne. Weiter wurde sie darauf hingewiesen, dass durch diese öffentliche Zustellung eine Einspruchsfrist nach § 355 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) in Gang gesetzt werde und nach Ablauf der Frist Rechtsverluste drohten. Die tatsächliche Dauer des Aushangs wurde in den Akten vermerkt. Der Bescheid wurde nicht zusätzlich mit der Post an die Anschrift in Owingen versandt.

Gegen den Aufhebungsbescheid vom 17. Juni 2015 legte die Klägerin mit Schreiben vom 23. Dezember 2017 (Zugang am 28. Dezember 2017) Einspruch mit der Begründung ein, dass ihr dieser Bescheid nie zugegangen sei. Mit Einspruchsentscheidung vom 12. Februar 2018 verwarf die Familienkasse den Einspruch der Klägerin als unzulässig, weil er nicht fristgemäß erhoben worden und auch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren sei.

Hiergegen hat die Klägerin vor dem Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass zum Zeitpunkt der Zusendung des Aufhebungsbescheides ein aktiver Nachsendeauftrag bestanden habe und die gesamte Post an ihren Sohn G in T und seit August 2016 an ihre Tochter J1 in U gegangen sei. Einen eigenen inländischen Wohnsitz habe sich die Klägerin zu dieser Zeit nicht leisten können. D er Beklagten hätten alle Informationen vorgelegen, welche darauf schließen ließen, dass sie postalisch erreichbar sein musste. Die Familienkasse habe aus den ihr vorliegenden Unterlagen zudem gewusst, dass die Tochter M in I an de...

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