Entscheidungsstichwort (Thema)

Schätzung der Besteuerungsgrundlagen; Schätzung von Zinseinnahmen; Grenzen der Ermittlungspflicht des Finanzgerichts

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Finanzamt ist auch dann zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen befugt, wenn der Stpfl. sich in Untersuchungshaft befindet; denn aus welchen Gründen der Stpfl. die Steuererkärungen nicht abgegeben hat, ist für die Schätzungsbefugnis ohne Bedeutung. Die Einleitung eines Strafverfahrens gegen einen Steuerpflichtigen führt nicht zu einer Einschränkung seiner Mitwirkungspflicht.

2. Liegen ausreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass der Stpfl. im Veranlagungszeitraum über einen Geldbetrag von mindestens 1,4 Mio. DM verfügt hat, spricht die Lebenserfahrung dafür, dass der Betrag verzinslich angelegt wurde. Das FA ist befugt, Zinseinnahmen in Höhe der üblichen Marktzinsen für Festgeldanlagen zu schätzen.

 

Normenkette

AO §§ 162, 149 Abs. 1 S. 2; FGO § 76

 

Gründe

I.

Der Kläger ist Filmkaufmann. Er war in der Zeit vom 9. Juni 1982 bis 23. August 1985 verheiratet. Die Eheleute lebten seit Mitte des Jahres 1984 getrennt. Die Ehefrau erzielte in den Streitjahren nach eigenen Angaben keine eigenen Einkünfte.

Der Kläger war bis einschließlich 1982 u.a. Gesellschafter und Geschäftsführer der C-GmbH, die Komplementärin mehrerer sich mit der Herstellung und Verwertung des Rechts der Vervielfältigung, der Verbreitung und der öffentlichen Vorführung von Spielfilmen befassenden Publikums-Kommanditgesellschaften war. An den Kommanditgesellschaften war der Kläger auch als Kommanditist beteiligt.

Ab 5. Oktober 1982 befand sich der Kläger in Untersuchungshaft. Diese wurde durch Beschluss des Amtsgerichts M vom 22. Februar 1984 gegen Leistung einer

Sicherheit in Höhe von 1,4 Mio. DM in Form einer Bürgschaft der D-Bank außer Vollzug gesetzt. Nachdem das FA die Sicherheitsleistung des Klägers gepfändet hatte, hat der Kläger im September 1984 1,4 Mio. DM an das beklagte Finanzamt (FA) zur Begleichung von Steuerschulden gegen Rückgabe der Bürgschaft überwiesen. Im Herbst 1984 trat der Kläger eine rechtskräftig verhängte Haftstrafe an.

Dem Kläger stehen Wohnrechte auf Lebenszeit am Anwesen A sowie einem Landsitz in Spanien zu.

Da der Kläger für die Streitjahre keine Steuererklärungen abgab, erließ das FA Einkommensteuerbescheide (Einzelveranlagungen für den Kläger) aufgrund geschätzter Besteuerungsgrundlagen. Dabei schätzte das FA die Einkünfte aus Gewerbebetrieb für 1982 und 1983 in Höhe von jeweils 20.000 DM und für 1984 in Höhe von 10.000 DM. Die Einkünfte aus Kapitalvermögen setzte es für 1982 und 1983 in Höhe von jeweils 149.600 DM und für 1984 in Höhe von 99.600 DM an. Dies führte zu Einkommensteuerfestsetzungen von jeweils 79.814 DM für 1982 und 1983 (Bescheide vom 31. Oktober 1984 und 11. Juli 1985) und von 146.252 DM für 1984 (Bescheid vom 9. Juli 1986).

Gegen die Bescheide legte der Kläger jeweils Einspruch ein. Er trug vor, die Schätzungen seien unzutreffend, weil er sich in den Streitjahren die überwiegende Zeit in Untersuchungshaft befunden und keinerlei Einkünfte gehabt habe. In den Monaten vor seiner Inhaftierung hätten weder er noch die Firmen, für welche er tätig gewesen sei, irgendwelche Neugeschäfte gemacht. Die Einkünfte des Jahres 1982 hätten sich seiner Erinnerung nach auf sein Geschäftsführergehalt bei der C-GmbH, bei welchem die anfallende Einkommensteuer im Wege des Lohnsteuerabzugs einbehalten worden sei, beschränkt. Die geleistete Zahlung von 1,4 Mio. DM sei von Geschäftsfreunden für ihn aufgebracht worden.

Es sei objektiv unmöglich für ihn bzw. seinen Berater gewesen, irgendwelche Ermittlungen in Bezug auf mögliche Einkünfte zu treffen und Einkommensteuererklärungen abzugeben, weil sämtliche Unterlagen des Klägers von der Steuerfahndung beschlagnahmt gewesen seien. Darüber hinaus habe sich der Kläger auch nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft wegen einer schweren Erkrankung monatelang in stationärer Krankenhausbehandlung befunden.

Die Einsprüche hatten nur zum Teil Erfolg. In der Einspruchsentscheidung (EE) vom 12. Februar 1987 setzte das FA die Einkünfte aus Gewerbebetrieb in unveränderter Höhe an. Mangels genauer Angaben und Beweismittel über die Herkunft der Sicherheitsleistung in Höhe von 1,4 Mio. DM ging es auch weiterhin davon aus, dass dem Kläger das entsprechende Kapital aus eigenen Mitteln sowohl im Jahr 1984 wie auch in den Jahren 1982 und 1983 zur Verfügung gestanden habe. Die Einkünfte aus Kapitalvermögen setzte das FA jedoch herab, und zwar für 1982 auf 111.200 DM, für 1983 auf 76.200 DM und für 1984 auf 52.800 DM. Dabei ging es davon aus, dass der Kläger den Kapitalbetrag im Jahr 1982 mindestens zu Konditionen, wie sie für Festgeldanlagen gezahlt worden seien, nämlich im Jahr 1982 mit durchschnittlich 8 %, 1983 mit durchschnittlich 5,5 % und 1984 mit durchschnittlich 5,75 %, angelegt habe. Zusätzlich setzte das FA Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit für eine Geschäftsführertätigkeit des Klägers im Jahr 1982 in Höhe von 22.356...

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