rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Pflegekindschaftsverhältnis bei einem fast volljährigen Kind und nur kurzfristiger (mehrmonatiger) Haushaltsaufnahme

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Pflegekindschaftsverhältnis besteht, wenn zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Kind ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und leiblichen Kindern auf der Grundlage einer ideellen Dauerbindung besteht.

2. Dabei ist nicht allein auf die äußeren Lebensumstände, sondern darauf abzustellen, ob das Pflegekind in der Familie eine Einheit von Versorgung, Erziehung und Heimat findet, also wie zur Familie gehörig angesehen und behandelt wird. Dies ist nicht gegeben, wenn das Kind nach Eintritt der Volljährigkeit den Haushalt des Steuerpflichtigen bereits nach knapp sechs Monaten wieder aufgrund einer eigenverantwortlichen Entscheidung verlässt.

 

Normenkette

EStG §§ 62, 63 Abs. 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 2

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin für eine kurzzeitig in ihren Haushalt aufgenommene Waise einen Anspruch auf Kindergeld hat.

I.

Die Klägerin nahm im Februar 2002 die am […] 1. April 1984 geborene Waise […] S in ihren Haushalt in […] X-Stadt auf. S lebte bis zu diesem Zeitpunkt bei Pflegeeltern, dem Ehepaar […] T in […] W. Am 31. Juli 2002 verließ S wieder den Haushalt der Klägerin. Im Oktober 2002 teilte die Klägerin der Familienkasse mit, dass sie nach […] H-Dorf umgezogen ist und dass die S nicht mehr in ihrem Haushalt lebt.

Die Beklagte – die Agentur für Arbeit, Familienkasse (FK) – lehnte den am 10. April 2002 gestellten Antrag der Klägerin auf Kindergeld für S mit Bescheid vom 27. Dezember 2002 ab, weil ein Pflegekindschaftsverhältnis im Sinne des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht anerkannt werden könne. S sei bei Aufnahme in den Haushalt der Klägerin fast volljährig gewesen und es habe kein familienähnliches, auf Dauer angelegtes Band zwischen der Klägerin und S bestanden. Der Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 23. Januar 2003).

Dagegen richtet sich die Klage. Die Klägerin ist der Auffassung, dass zwischen ihr und der S im Zeitraum von Februar 2002 bis August 2002 ein Pflegekindschaftsverhältnis bestanden habe. Die Klägerin bezieht sich auf ihre bereits im Verwaltungsverfahren vorgebrachten Argumente und trägt vor, dass S von ihrer Pflegefamilie, dem Ehepaar T, aus persönlichen Gründen geflüchtet sei und sie gebeten habe, dass sie in ihre Familie aufgenommen werde. S sei bereits seit mehreren Jahren Waise und habe deshalb auch vor der Aufnahme bei den Pflegeeltern im Heim in […] N-Stadt leben müssen. Die Aufnahme in den Haushalt der Klägerin sei in Absprache mit dem Jugendamt X-Stadt erfolgt. S habe sich in der Zeit von Februar 2002 bis August 2002 in der Obhut ihrer Familie befunden, sie habe für Kost und Unterkunft gesorgt und S habe von ihrer Wohnung aus das Gymnasium in X-Stadt besucht. Sie habe für S in dieser Zeit zwar kein Pflegegeld erhalten, weil das Jugendamt das Pflegeverhältnis wegen der Volljährigkeit von S nicht genehmigt habe; der S sei aber eine Waisenrente bezahlt worden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Familienkasse unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Dezember 2002 sowie der Einspruchsentscheidung vom 23. Januar 2003 zu verpflichten, Kindergeld für S für den Zeitraum vom Februar 2002 bis August 2002 zu zahlen.

Die Familienkasse beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die FK verweist zur Begründung auf ihre Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass die Klägerin die S zu einem Zeitpunkt in ihren Haushalt aufgenommen habe, als diese bereits 17 Jahre und 10 Monate alt war. Es werde sich zu einem fast volljährigen Kind ein Pflegekindschaftsverhältnis kaum begründen lassen. Dies zeige auch der Streitfall, da S nach Eintritt der Volljährigkeit den Haushalt der Klägerin auch gleich wieder nach fünf Monaten verlassen habe. Auch habe das zuständige Jugendamt eine Pflegeerlaubnis nicht mehr erteilt, weil S im April 2002 das 18. Lebensjahr vollendet habe.

Mit Senatsbeschluss vom 31. Mai 2005 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 6 Finanzgerichtsordnung – FGO –).

Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung

(§ 90 Abs. 2 FGO).

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Klage ist unbegründet.

Für die Zeit von Februar 2002 bis August 2002 stand der Klägerin kein Kindergeld für S zu, denn S war nicht als Pflegekind der Klägerin i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu berücksichtigen.

Nach §§ 62, 63 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG besteht auch für Pflegekinder Anspruch auf Kindergeld. Ein Pflegekind ist nach der Legaldefinition des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG eine Person, mit der der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr b...

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