rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Behaupteter Erhalt einer Einspruchsentscheidung erst nach Ablauf der Drei-Tagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO: Beweisvorsorgepflicht eines Prozessbevollmächtigten. Eingangsvermerk des Bevollmächtigten ohne Vorlage des Briefkuverts oder eines Posteingangs- oder Fristenkontrollbuchs nicht ausreichend
Leitsatz (redaktionell)
1. Bestreitet der Steuerpflichtige nicht den Zugang eines schriftlichen Verwaltungsakts überhaupt, sondern nur den Erhalt innerhalb des Dreitageszeitraums des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, so hat er sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen zu substantiieren, um Zweifel an der Dreitagesvermutung zu begründen. Hierzu muss er Tatsachen vortragen, die den Schluss darauf zulassen, dass ein anderer Geschehensablauf als der typische Zugang binnen dreier Tage nach Aufgabe zur Post ernstlich in Betracht zu ziehen ist.
2. Zur konkreten Begründung von Zweifeln am Zugang eines Verwaltungsakts innerhalb der Drei-Tages-Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO reicht ein abweichender Eingangsvermerk eines Prozessbevollmächtigten auf der Einspruchsentscheidung allein nicht aus.
3. Es besteht dann eine Obliegenheit zur Beweisvorsorge eines Prozessbevollmächtigten, wenn er als Adressat eines durch die Post übermittelten Verwaltungsakts einen atypisch langen Postlauf anhand des Poststempels oder des Bescheiddatums hätte erkennen können (im Streitfall: behaupteter Eingang einer Einspruchsentscheidung erst fünf Tage nach dem Datum bzw. der Versendung der Einspruchsentscheidung).
4. Eine als mögliche anwaltliche Versicherung zu wertende Erklärung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Verlauf des Klageverfahrens genügt zur Glaubhaftmachung des Zugangszeitpunkts eines Verwaltungsaktes dann nicht, wenn objektive Beweismittel wie die Führung eines Posteingangs- oder Fristenkontrollbuchs oder die Vorlage des Umschlags der Einspruchsentscheidung zur Verfügung gestanden hätten.
5. Ein Fristenkontrollbuch oder eine vergleichbare Einrichtung stellt grundsätzlich eine unerlässliche Voraussetzung einer ordnungsmäßigen Büroorganisation zur Wahrung von Ausschlussfristen dar.
Normenkette
AO § 122 Abs. 2 Nr. 1, § 366; FGO § 47 Abs. 1 S. 1, § 56 Abs. 1
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Streitig ist die Zulässigkeit der Klage wegen einer verspäteten Klageeinreichung sowie, ob die laut der Satzung einer KGaA vereinbarte zu zahlende variable Haftungs- und Tätigkeitsvergütung zugunsten der Klägerin als persönlich haftende Gesellschafterin der KGaA ein umsatzsteuerpflichtiges Entgelt für Leistungen darstellt.
Die Klägerin ist eine mit Gesellschaftsvertrag vom … gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in A. Der Gegenstand ihres Unternehmens ist insbesondere der Erwerb und die Verwaltung von Beteiligungen sowie Übernahme der persönlichen Haftung und der Geschäftsführung bei Handelsgesellschaften, insbesondere die Beteiligung als persönlich haftende, jedoch nicht geschäftsführende, Gesellschafterin und Kommanditaktionärin an der KGaA mit dem Sitz in A sowie die Beteiligung als persönlich haftende Gesellschafterin an der B-KG. Ihr Geschäftsführer ist C.
In ihrer Umsatzsteuererklärung für 2010 vom 12. Januar 2012 errechnete die Klägerin eine Umsatzsteuer von … EUR. In ihrer berichtigten Umsatzsteuererklärung für 2010 vom 14. Juni 2012 errechnete die Klägerin eine Umsatzsteuer von … EUR.
Bei der Klägerin hatte im Rahmen einer Konzernprüfung der Firma KGaA als für die Haftung sowie für die Geschäftsführung und Vertretung dieses Unternehmens beauftragten Gesellschaft eine Außenprüfung durch den Beklagten (im Folgenden: FA) stattgefunden. Der Prüfungszeitraum umfasste die Jahre 2011 bis 2014. Bezüglich der Umsatzsteuer wurden aufgrund des beim gesamten D-Konzern vorliegenden abweichenden Wirtschafsjahres (31. März) gemäß Prüfungsanordnung vom 26. Oktober 2016 die Jahre 2010 bis 2013 geprüft.
Die Klägerin ist am Stammkapital der KGaA i.H.v. … EUR nicht beteiligt, hat aber eine Sondereinlage i.H.v. … EUR in die KGaA geleistet, für die ihr per Satzung eine Gewinnbeteiligung von 20 % zugesagt wurde. Die Gewinnbeteiligung entsprach dem rechnerischen Anteil am Gesamtkapital der KGaA.
Für die Geschäftsführung und Vertretung der KGaA erhielt die Klägerin gemäß § 12 Abs. 1 der Satzung der KGaA die Erstattung aller angemessenen Aufwendungen für die Geschäftsführung sowie nach § 12 Abs. 2 der Satzung jährlich eine variable Haftungs- und Tätigkeitsvergütung zuzüglich gegebenenfalls anfallender Umsatzsteuer, über deren Höhe von der Hauptversammlung nach billigem Ermessen beschlossen wurde.
Die Klägerin hatte aber nur den laufenden Kostenersatz für die Geschäftsführung der Umsatzsteuer unterworfen, nicht jedoch die variablen Haftungs- und Tätigkeitsvergütungen. Die variable Vergütung betrug im Streitjahr … EUR. Diese wurde im Rahmen einer Außenprüfung beanstandet.
Die Klägerin hatte zur Begrenzung des Zinslaufs im Vorgriff auf einen diesbezüglichen Bericht...