Entscheidungsstichwort (Thema)
Öffentliche Zustellung. Bekanntgabe im Ausland. Einkommensteuer 1988, 1989, 1990
Leitsatz (amtlich)
Die wegen nicht ausreichender Ermittlungen zum Aufenthaltsort unwirksame öffentliche Zustellung eines Steuerbescheids wird durch die nachträgliche Übergabe einer Kopie des Bescheids geheilt (§ 9 Abs. 1 VwZG).
Der Anwendbarkeit des § 9 Abs. 1 VwZG steht nicht § 9 Abs. 2 VwZG entgegen, wenn mit der Zustellung keine der in § 9 Abs. 2 VwZG genannten Fristen, sondern die Einspruchsfrist beginnt.
Die Möglichkeit einer Sprungklage bleibt hierbei außer Betracht.
Normenkette
AO § 122 Abs. 2 Nr. 2, § 125; FGO §§ 41, 47, 56; VwZG § 9 Abs. 1-2
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Die Klägerin ist österreichische Staatsangehörige.
Durch eine Kontrollmitteilung der Lohnsteueraußenprüfung vom 05.02.1991 wurde dem Beklagten (Finanzamt –FA–) bekannt, dass die Klägerin in den Jahren 1988 bis 1990 für die Firma … GmbH an deren Betriebsstätte in A. selbständig tätig geworden ist und hierfür im Jahr 1988 15.122 DM, in 1989 23.048 DM und in 1990 19.484 DM erhalten hat. Die Wohnanschrift der Klägerin war mit… angegeben.
Mit Schreiben vom 16.03.1993 forderte das FA die Klägerin auf, bis zum 20.04.1993 Steuererklärungen für die Jahre 1988 bis 1991 einzureichen. Die Klägerin gab weder Steuererklärungen ab noch nahm sie Stellung zu dem Schreiben des FA. Auch das Erinnerungsschreiben vom 31.08.1993 blieb unbeantwortet.
Das FA schätzte daraufhin die Einkünfte in den Streitjahren auf 15.000 DM, 23.000 DM und 19.000 DM und erließ jeweils am 21.06.1994 Einkommensteuerbescheide für 1988, 1989 und 1990. Die Bescheide kamen als unzustellbar zurück. Zur Ermittlung des Aufenthalts der Klägerin richtete das FA am 29.06.1994 ein Amtshilfeersuchen an das Meldeamt bei der Bundespolizeidirektion … Laut Antwortschreiben vom 12.07.1994 ist der Aufenthalt der am … geborenen Klägerin seit 04.11.1993 unbekannt. Im November 1999 stellte das FA nochmals ohne Erfolg Ermittlungen nach dem Aufenthalt der Klägerin beim FA … an. Da die Vergütungen lt. Auskunft auch in Österreich nicht versteuert wurden, sah das FA den Tatbestand der Steuerverkürzung als gegeben an. Es setzte die Einkommensteuer 1988, 1989 und 1990 mit Bescheiden vom 29.11.1999 erneut fest (Einkommensteuer 1988: 3.750 DM, 1989: 5.750 DM und 1990: 4.750 DM). Die Steuerbescheide wurden gem. § 15 VwZG öffentlich zugestellt. Der Aushang der Benachrichtigung gem. § 15 Abs. 2 VwZG erfolgte am 29.11.1999, die Abnahme am 01.02.2000.
Am 29.03.2000 stellte die Vollstreckungsstelle des FA neuerliche Wohnsitzermittlungen an. Sie konnte am 11.04.2000 einen telefonischen Kontakt zur Klägerin herstellen. Bei Vorsprache der Klägerin am 02.05.2000 bei der Veranlagungsstelle des FA wurden der Klägerin unter Hinweis auf die eingetretene Bestandskraft der Bescheide Kopien der Einkommensteuerbescheide 1988 bis 1990, jeweils mit der Rechtsbehelfsbelehrung, ausgehändigt.
Mit Schreiben vom 20.03.2001 ließ die Klägerin gegen die Schätzungsbescheide vom 29.11.1999 Einspruch einlegen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen. Den Einspruch verwarf das FA am 13.09.2001 als unzulässig. Die Einspruchsentscheidung wurde im Einvernehmen mit der Klägerin mit einfachem Brief an ihre Wohnanschrift… in Österreich bekannt gegeben. Sie ging der Klägerin nach ihren Angaben am 17.09.2001 zu.
Dagegen richtet sich die Klage vom 18.11.2001, die beim Finanzgericht am 19.11.2001 eingegangen ist. Zur Begründung trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, es sei richtig, dass sie in den genannten Jahren Entgelte für Übersetzungsarbeiten erhalten habe. Im Jahr 1992 sei sie Gesellschafterin der… GmbH geworden. 1991/1992 habe sie sich bereit erklärt, aktiv an der Rettung und Sanierung des Unternehmens beizutragen, auch dadurch, indem sie ihre Honorare zurückgezahlt habe. Die Honorare seien in Darlehen umgewandet worden. 1999 sei sie als Gesellschafterin ausgeschieden. Das FA T. sei informiert worden. Ihre Person als auch die schwierige Situation des Unternehmens sei dem FA hinreichend bekannt gewesen. Wiederholt habe sie wegen der Liquiditätsprobleme der … GmbH Kontakt mit der Vollstreckungsstelle in L. gehabt. Die öffentliche Bekanntgabe der Einkommensteuerbescheide ohne Kontaktaufnahme mit ihr habe sie hart und völlig unerwartet getroffen. Alle Weichen seien gestellt gewesen, dass das FA in den Jahren 1992–1999 die Klin jederzeit hätte kontaktieren können. Die regelmäßige Festsetzungsfrist von 4 Jahren sei im Zeitpunkt der Steuerfestsetzungen am 29.11.1999 für alle Kalenderjahre längst abgelaufen gewesen. Der Tatbestand der Steuerhinterziehung sei nicht gegeben. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin wird auf die Schriftsätze vom 18.11.2001 und 02.07.2002 Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 05.03.2002 teilte die Klägerin mit, dass sie wegen einer Fehleinschätzung seitens ihrer Beratung die Frist zur Klageeinreichung versäumt habe. Ihr Steuerberate...