rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachpfändung während rechtswidriger Wohnungsdurchsuchung
Leitsatz (redaktionell)
1. Erfährt das FA 14 Tage zuvor vom Plan des LKA, die Wohnung des Vollstreckungsschuldners zu durchsuchen, und erstellt 7 Tage später einen Vollstreckungsauftrag, beantragt jedoch – obwohl ausreichend Zeit bestanden hätte – keinen richterlichen Durchsuchungsbeschluss gem. § 287 Abs. 4 S. 1 AO, ist die nach Verweigerung der Zustimmung durchgeführte Durchsuchung der Wohnung rechtswidrig, aber nicht nichtig. Nimmt das FA die Möglichkeit einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken nicht war, sondern geht das Risiko ein, dass der Vollstreckungsschuldner der Durchsuchung seiner Wohnung nicht zustimmt, kann dadurch nicht Gefahr im Verzug gem. § 287 Abs. 4 S. 2 AO entstehen, die zur Anordnung der Durchsuchung durch die Behörde selbst berechtigt.
2. Die im Rahmen einer rechtswidrigen Durchsuchung erfolgte Sachpfändung ist aufzuheben. Die Pfändung war jedoch nicht nichtig.
Normenkette
AO § 287 Abs. 4 Sätze 2, 1, Abs. 5, § 125 Abs. 1; GG Art. 13 Abs. 2
Nachgehend
Tenor
1. Die Sachpfändung vom 16. November 2004 gegenüber dem Kläger zu 1 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Durchsuchung der Wohnung P-Straße 25 in M. am 16. November 2004 gegenüber den Klägerinnen zu 2 und 3 rechtswidrig war.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Kläger die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.
Tatbestand
Die Kläger zu 1 und 2 sind Ehegatten. Die Klägerin zu 3 ist ihre gemeinsame Tochter (geb. 1978). Die Tochter wohnt nach Angabe mit ihren Eltern gemeinsam in der Wohnung in der P-Straße 25 in M. Der Kläger hat beim Beklagten, dem Finanzamt Abteilung Erhebung (FA), erhebliche Rückstände u.a. wegen Einkommensteuer 1980, 1987-1990, Vermögenssteuer 1980, 1982-1987, Umsatzsteuer 1980-1997 sowie Nebenleistungen. Die seit 1996 bei ihm durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen verliefen ohne Erfolg.
Am 25. August 2004 übersandte das FA den Eheleuten eine Zahlungsaufforderung über … EUR. Anlässlich der daraufhin erfolgten persönlichen Vorsprache des Prozessbevollmächtigten der Kläger am 20. September 2004 beim FA forderte dieses eine Stellungnahme der Ehegatten über ihre wirtschaftliche Situation bis Ende Oktober 2004 an. Diese wurde nach Aktenlage nicht abgegeben. Am 2. November 2004 erfuhr das FA durch einen Mitarbeiter des Landeskriminalamts (LKA) M. von einer für den 16. November 2004 geplanten Durchsuchung in der Wohnung der Kläger. Am 9. November 2004 erstellte das FA einen Vollstreckungsauftrag betreffend den Kläger und die Klägerin zu 2 i.H.v. … EUR. In Telefonaten mit dem LKA vom 9. und 11. November 2004 bestätigte das FA die Teilnahme von Vollziehern des FA bei der Durchsuchung und vereinbarte, dass der Mitarbeiter des LKA ca. 45 Minuten vor Einsatzbeginn in der Vollzieherstelle anrufen solle. Ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss gemäß § 287 Abs. 4 Satz 1 Abgabenordnung (AO) wurde vom FA nicht beantragt.
Die Durchsuchung durch das LKA fand am 16. November 2004 statt. Ein Mitarbeiter des LKA verständigte um 10.55 Uhr das FA über pfändungswürdige Gegenstände in der Wohnung der Kläger. Daraufhin fuhren zwei Vollziehungsbeamte und der zuständige Sachbearbeiter der Vollstreckungsstelle in die P-Straße 25. Nach Angabe der Kläger wurden sie von einem Mitarbeiter des LKA eingelassen. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger forderte sie auf, Vollstreckungsmaßnahmen zu unterlassen und die Wohnung zu verlassen, da kein richterlicher Durchsuchungsbeschluss vorliege. Die Finanzbeamten erklärten nach telefonischer Rücksprache mit einem Vorgesetzten, dass Gefahr im Verzug bestehe und pfändeten 74 Gegenstände, die in einem Pfändungsprotokoll erfasst und in das Pfandlager des FA eingeschafft wurden. Auf die Pfändungsniederschrift vom 16. November 2004 wird gemäß § 105 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) verwiesen.
Mit Schreiben vom 23. November 2004 legten die Kläger gegen die Vollstreckungsmaßnahmen vom 16. November 2004 Einspruch ein und trugen vor, wegen schwerwiegender Grundrechtsverletzungen seien die Vollstreckungsmaßnahmen nichtig und die Zwangsvollstreckung sofort einzustellen. Das FA wertete das Schreiben als Einsprüche gegen die Sachpfändung und hob mit Schreiben vom 13. Dezember 2004 die Pfändung vom 16. November 2004 bezüglich der Klägerin zu 2 auf. Gleichzeitig teilte es mit, die Pfändung gegenüber dem Kläger bleibe bestehen, da keine Gründe für eine Einstellung der Vollstreckung vorgetragen seien.
Am 16. Dezember 2004 legten die Klägerinnen zu 2 und 3 unter Berufung auf § 262 AO zusätzlich Einspruch ein, da durch die Sachpfändung in ihre Eigentumsrechte eingegriffen worden sei.
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