Entscheidungsstichwort (Thema)
Herabsetzung des Kaufpreises innerhalb der Zweijahresfrist des § 16 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG kein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO
Leitsatz (redaktionell)
1. § 16 GrEStG ist keine Steuerbefreiungs-, sondern eine „sonst gesetzlich zugelassene” besondere Korrekturvorschrift i. S. d. § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2d AO über Aufhebung oder Änderung einer Grunderwerbsteuerfestsetzung. § 16 GrEStG lässt mithin die Anwendbarkeit der allgemeinen Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO auf die Grunderwerbsteuer unberührt.
2. Die nachträgliche Aufhebung von Grunderwerbsteuerbescheiden nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO setzt voraus, dass das grunderwerbsteuerrechtliche Rechtsgeschäft von Anfang an unwirksam war oder nachträglich durch Anfechtung unwirksam geworden ist.
3. Die Ausübung von vertraglichen oder gesetzlichen Gestaltungsrechten (Rücktritt oder Wandlung) stellt hingegen kein Ereignis mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit dar; ebenso ist kein Fall des § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO gegeben, wenn die Gegenleistung durch den Abschluss einer Vergleichsvereinbarung innerhalb von zwei Jahren nach Kaufvertragsschluss herabgesetzt wird. Wird der Kaufpreis innerhalb von zwei Jahren nach der Steuerentstehung herabgesetzt, ist die Korrektur des Grunderwerbsteuerbescheides vielmehr nur gem. § 16 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG möglich.
Normenkette
AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; GrEStG § 16 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten, ob die Voraussetzungen für die Änderung eines Grunderwerbsteuerbescheides gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) im Streitfall vorliegen.
Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 7. August 2007 erwarb die Klägerin Grundvermögen in A zum Kaufpreis von 49.547.500 EUR. Der Kaufpreis war am 31. August 2007 in voller Höhe zur Zahlung fällig. Die Klägerin war verpflichtet, einen Kaufpreisteil i.H.v. 2.160.000 EUR auf ein Notartreuhandkonto als Einbehalt für den in die Wertkalkulation einbezogenen, aber noch nicht abgeschlossenen Mietvertrag Meier zu bezahlen. Dieser Kaufpreisteil sollte erst dann an den Verkäufer ausbezahlt werden, wenn der Verkäufer der Klägerin den Abschluss eines Mietvertrages mit der Firma Meier oder mit einem Dritten über eine Mindestlaufzeit von 10 Jahren zu einer Mindestnettojahresmiete von insgesamt 216.000 EUR vermittelt hätte. Einen Kaufpreisteil i.H.v. 360.000 EUR hatte die Klägerin auf ein Notartreuhandkonto als Einbehalt für den in die Wertkalkulation einbezogenen, aber nicht überzuleitenden Mietvertrag Müller zu bezahlen. Dieser Kaufpreisanteil sollte erst dann an den Verkäufer ausbezahlt werden, wenn der Verkäufer der Klägerin den Abschluss von Mietverträgen mit einer Mindestlaufzeit von fünf Jahren zu einer Mindestnettojahresmiete von insgesamt 72.000 EUR vermittelt hätte. Einen weiteren Kaufpreisteil i.H.v. 1.093.500 EUR hatte die Klägerin auf ein Notartreuhandkonto als Einbehalt für Nebenkosten zu bezahlen, welcher einem Nebenkostenvolumen von 437.400 EUR p.a. über eine Laufzeit von 2,5 Jahren entsprach. Dieser Kaufpreisteil sollte ab Besitzübergang unter bestimmten Voraussetzungen in monatlichen Raten von 36.450 EUR an die Klägerin ausbezahlt werden. Nach Ablauf von 2,5 Jahren hatte der Notar den auf dem Notaranderkonto verbleibenden Restbetrag an den Verkäufer auszuzahlen.
Ferner verpflichtete sich die Klägerin, die aufgrund des vom Grundstücksverkäufer mit einem Dritten abgeschlossenen Vorerwerbvertrages anfallende Grunderwerbsteuer i.H.v. 1.452.500 EUR zu bezahlen, sowie die dem Verkäufer im Zusammenhang mit der Erstellung von Due-Diligence-Berichten entstehenden Kosten anteilig zu erstatten.
Mit Bescheid vom 11. September 2007 setzte das beklagte Finanzamt (FA) die Grunderwerbsteuer gegen die Klägerin mit 3,5 % aus einer Gegenleistung von 51.000.000 EUR (Kaufpreis 49.547.500 EUR zzgl. Grunderwerbsteuer Vorerwerb 1.453.500 EUR) auf 1.785.000 EUR fest. Der Bescheid erging gem. § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Nachdem die Klägerin dem FA mit Schreiben vom 25. Oktober 2007 mitgeteilt hatte, dass sie dem Verkäufer die Kosten der Due-Diligence mit einem Betrag von 84.795,39 EUR erstatten werde, setzte das FA mit gem. § 164 Abs. 2 AO geändertem Bescheid vom 15. November 2007 die Grunderwerbsteuer auf 1.787.967 EUR (3,5 % der Gegenleistung von nunmehr 51.084.795 EUR) herauf. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben.
Mit Schreiben vom 13. September 2012 beantragte die Klägerin eine Änderung des Grunderwerbsteuerbescheides vom 25. Oktober 2007 gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Zur Begründung trug sie vor, der Grundstückskaufpreis sei nachträglich gemindert worden. Verkäufer und Klägerin hätten im Rahmen der Vertragsverhandlungen vereinbart, dass der Verkäufer nach Abschluss des Grundstückskaufvertrages weitere...