Entscheidungsstichwort (Thema)
Zufluss von Kapitalerträgen im Schneeballsystem
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Schneeballsystem kann ein Zufluss i.S. von § 11 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 8 Abs. 1 EStG – sofern keine Auszahlung erfolgt – zwar durch eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten oder durch eine Novation bewirkt werden.
2. Liegen jedoch weder Gutschriften noch Novationen vor, kann der Zufluss von Kapitalerträgen nicht im Schätzungswege angenommen werden.
Normenkette
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7, § 11 Abs. 1 S. 1; BGB §§ 164, 167; AO § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
Tenor
1. Unter Änderung des Bescheides vom 23. Januar 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Dezember 2014 wird die Einkommensteuer 2010 auf 9.394 EUR herabgesetzt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 94 vom Hundert und der Beklagte zu 6 vom Hundert.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
I.
Die Klägerin erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit als …, aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung
Mit Vertrag vom 3. Oktober 2005 zwischen der Klägerin und X „als Vermittler” und Aktionär und Beteiligter der Y AG [in der Schweiz] mit „Zugang zu einer sehr lukrativen Geldanlage” verpflichtete sich die Klägerin zur Zahlung eines Investitionsbetrages in Höhe von 20.000 EUR auf das Konto … der Y AG. Hierfür sollte die Klägerin 10 % Zinsen pro Jahr erhalten. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertrag verwiesen (in der Folge: erste Kapitalanlage).
Mit Vertrag vom 24. Februar 2006 zwischen der Klägerin und X „als Vermittler” und Aktionär und Beteiligter der Y AG verpflichtete sich die Klägerin zur Zahlung eines Investitionsbetrages in Höhe von 30.000 EUR. Hierfür sollte die Klägerin 11 % Zinsen pro Jahr erhalten. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertrag verwiesen (in der Folge: zweite Kapitalanlage).
Mit Schreiben vom 8. Oktober 2005 bestätigte X die Einzahlung von 20.000 EUR und führte aus: „Da Sie die Wiederanlage der monatlichen Erträge wünschen, ergibt sich bis zum Laufzeitende” am 30. November 2006 eine Wertentwicklung von 22.278,38 EUR. Am 23. November 2006 schrieb X an die Klägerin, dass ihr Guthaben am 30. November 2006 22.783,80 EUR betrage und dass vereinbarungsgemäß dieser Betrag plus die Aufstockungssumme von 17.722 EUR, also gesamt 40.005,80 EUR ab dem 1. Dezember 2006 wieder investiert würden. Mit Schreiben vom 15. Dezember 2007 teilte X mit, dass am 31. Dezember 2007 das Investment über 40.000 EUR ende und das Guthaben von 45.530,33 EUR samt Aufstockungssumme von 24.469,67 EUR vereinbarungsgemäß ab dem 1. Januar 2008 wieder investiert würden. Am 10. Dezember 2008 teilte X schriftlich mit, dass das Guthaben der Klägerin am 31. Dezember 2008 78.877,75 EUR betrage und der Betrag vereinbarungsgemäß samt Aufstockungssumme von 1.122,25 EUR ab dem 1. Januar 2009 wieder investiert würden. Mit Schreiben vom 18. August 2010 bestätigte X der Klägerin, dass ihr Guthaben zum 31. August 2010 97.615,20 EUR betrage und der Betrag plus Aufstockungssumme von 2.384,80 EUR vereinbarungsgemäß wieder investiert werde. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgenannten Schreiben verwiesen.
Mit von X unterschriebenem, undatierten Schreiben teilte X der Klägerin mit, die von ihr investierten 30.000 EUR würden ab dem 1. März 2006 mit 11% pro Jahr bei monatlicher Auszahlung verzinst; da die Klägerin eine Thesaurierung wünsche, ergebe sich bis 31. März 2007 ein Betrag von 33.778,38 EUR. Mit Schreiben vom 23. März 2007 teilte X der Klägerin mit, am 31. März 2007 ende ihr Investment über 30.000 EUR und ihr Guthaben zum 31. März 2007 betrage 33.778,38 EUR. Dieses werde vereinbarungsgemäß plus einer Aufstockungssumme von 16.221,62 EUR, also gesamt 50.000 EUR, ab dem 1. April 2007 für 1,00 % pro Monat wieder investiert. Der monatliche Ertrag von 500 EUR werde auf ihr Konto Nr. …, BLZ … zum Monatsende überwiesen (und ist tatsächlich in der Zeit von April 2007 bis November 2010 auf ein Konto der Klägerin überwiesen worden). Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgenannten Schreiben verwiesen.
Zinserträge aus den Geldanlagen bei X hatte die Klägerin in den Steuererklärungen für die Streitjahre nicht erklärt.
Am 11. April 2011 ging beim beklagten Finanzamt (FA) eine Kontrollmitteilung des Finanzamtes Z ein, wonach die Klägerin ausländische Zinserträge wie folgt bezogen habe: 334,72 EUR in 2005, 5.210,39 EUR in 2006, 10.536,60 EUR in 2007, 14.877,75 EUR in 2008, 16.146 EUR in 2009 und 17.529,60 EUR in 2010. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Kontrollmitteilung samt Anlagen (u.a. Tabellen über die für die beiden Geldanlagen angefallenen Zinserträge) verwiesen.
Mit ...