rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein sachlicher Billigkeitsgrund für einen Erlass der Nachzahlungszinsen bei schuldhaftem Verhalten von Bediensteten der Finanzbehörde, das zu einer übermäßig langen Bearbeitungszeit und damit zu Nachforderungszinsen führt
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die Beantwortung der Frage, ob ein angefochtener Verwaltungsakt den Kläger in seinen Rechten verletzt, ist der Tenor des Verwaltungsaktes maßgebend.
2. Ein schuldhaftes Verhalten von Bediensteten der Finanzbehörde oder Organisationsmängel durch unzureichende personelle Ausstattung der Veranlagungsstellen, die zu einer übermäßig langen Bearbeitungszeit und damit zu Nachforderungszinsen führen, stellen keinen sachlichen Billigkeitsgrund für einen Erlass der Nachzahlungszinsen dar.
3. Liquiditätsvorteile, die dem Steuerpflichtigen oder dem Fiskus aus dem verspäteten Erlass eines Steuerbescheids typischerweise entstanden sind, sollen mit Hilfe der sog. Vollverzinsung ausgeglichen werden. Ob die möglichen Zinsvorteile tatsächlich gezogen worden sind, ist grundsätzlich unbeachtlich.
Normenkette
AO §§ 233a, 227; FGO § 40 Abs. 2, § 100 Abs. 1 S. 1, § 102; BGB § 133
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte – das Finanzamt (FA) – verpflichtet ist, Nachzahlungszinsen zu erlassen.
I.
Die Kläger werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger bezieht […] Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit und aus selbstständiger Arbeit; die Klägerin ist als Rechtsanwältin selbstständig tätig.
Da die Kläger trotz Aufforderung die Einkommensteuererklärung für 1999 nicht eingereicht hatten, schätzte das FA unter dem Vorbehalt der Nachprüfung mit Einkommensteuerbescheid für 1999 vom 8. Oktober 2001 die Besteuerungsgrundlagen. Die Steuer wurde auf 162.588,00 DM festgesetzt; der Unterschiedsbetrag zuungunsten der Kläger wurde mit 6.799,00 DM ausgewiesen (verbleibende Steuer: 130.519,00 DM; festgesetzte Einkommensteuervorauszahlungen: 123.720,00 DM) und die Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer gemäß § 233a Abgabenordnung (AO) wurden wegen eines Zinslaufs von 6 vollen Monaten mit 201,00 DM festgesetzt.
Gegen die Festsetzung der Einkommensteuer für 1999 erhoben die Kläger fristgemäß Einspruch. Mit Verfügung vom 21. August 2002 leitete der zuständige Sachbearbeiter den Einspruch der Rechtsbehelfstelle zur Übernahme und Bearbeitung mit der Begründung zu, dass die Einsprüche nach Schätzung bisher nicht begründet worden und älter als drei Monate seien. Zur Begründung des Einspruches reichten die Kläger am 5. November 2002 beim FA die Einkommensteuererklärung für 1999 ein. Am 13. November 2002 fertigte der zuständige Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle im FA einen Aktenvermerk, dass der Rechtsbehelf mit Akten von der Rechtsbehelfsstelle an die Veranlagungsstelle zurückgegeben und durch eine Teilstattgabe erledigt worden sei. Dieser Aktenvermerk wurde vom Sachgebietsleiter mit dem Vermerk „keine Erledigung” versehen. Am 13. November 2002 fertigte der Sachbearbeiter ein Telefax an den Steuerberater der Kläger und übermittelte Kopien von Mitteilungen anderer Finanzämter über Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen. Mit Schreiben vom 4. Juni 2004 forderte das FA den Steuerberater der Kläger auf, u.a. die als Werbungskosten bei den Einkünften aus Spekulationsgeschäften der Klägerin geltend gemachten Schuldzinsen nachzuweisen sowie die als Sonderausgaben geltend gemachten Steuerberatungskosten zu überprüfen. Mit Schreiben vom 26. Januar 2005 nahm der Steuerberater zu dieser Anfrage Stellung. Die auf den 24. Februar 2005 datierte Probeberechnung für die Einkommensteuerfestsetzung 1999 weist eine Einkommensteuerfestsetzung in Höhe von 130.029,19 EUR (entspricht 254.315,00 DM) aus. Der Aktenvermerk vom 16. Februar 2005 weist aus, dass der Sachbearbeiter im Dialogverfahren eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung vom 8. Oktober 2001 eingegeben hat. Eine Freigabe der Eingabedaten durch den zuständigen Sachgebietsleiter ist nicht erfolgt. Mit Schreiben vom 18. Februar 2005 forderte das FA beim Steuerberater der Kläger die Vorlage der schriftlichen Vertragsurkunde über das Darlehen an, das zur Finanzierung von Aktienkäufen aufgenommen worden sei. Eine Antwort erfolgte nicht. Mit Schreiben vom 19. Juni 2006 wurde der neue Steuerberater der Kläger u.a. wieder aufgefordert, zu den als Werbungskosten bei den Spekulationsgeschäften geltend gemachten Schuldzinsen Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 30. August 2007 übermittelte das FA dem neuen Steuerberater der Kläger zwei Probeberechnungen, die auf den 7. September 2007 und den 8. Mai 2007 datiert sind und eine festgesetzte Einkommensteuer in Höhe von 130.321,65 EUR (entspricht 254.887,00 DM) beziehungsweise in Höhe von 132.487,49 EUR (entspricht 259.123 DM) ausweisen. Mit Einspruchsentscheidung vom 3. September 2007 änderte das FA die Einkommensteuerfestsetzung für 1999 auf 130.321,65 E...