rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Ohne organisatorische Maßnahmen zur Vermeidung einer Fristversäumnis keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist bei Beauftragung qualifizierter Hilfspersonen mit der Berechnung der Einspruchsfrist sowie der Überprüfung von Steuerbescheiden und unterbliebener Benachrichtigung über den Ablauf der Einspruchsfrist
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird eine Hilfsperson, d.h. eine nicht zur Vertretung bestellte oder beauftragte Person, bei fristwahrenden Maßnahmen tätig, wird deren Verschulden dem Beteiligten nach § 110 Abs. 1 Satz 2 AO nicht zugerechnet. Sofern ein Verschulden einer Hilfsperson vorliegt, muss der Steuerpflichtige für deren Verschulden nur einstehen, sofern er bei Auswahl, Unterweisung und Beaufsichtigung der Hilfspersonen schuldhaft (Eigenverschulden) gehandelt hat. Ein Büroversehen begründet nur dann kein Verschulden, wenn es allein für die Fristversäumung ursächlich war.
2. Hat die Steuerpflichtige qualifizierte Hilfspersonen mit der Prüfung von Steuerbescheiden sowie der Berechnung des Ablaufs der Einspruchsfrist beauftragt (hier: anderes Konzernunternehmen sowie Wirtschaftsprüfungsgesellschaft), diese aber nicht zu Vertretern bei der Vornahme fristwahrender Handlungen bestellt, so muss sie selbst durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass der Zugang der Bescheide erfasst, das Ende der Einspruchsfrist zutreffend berechnet wird sowie der rechtzeitige Zugang des Einspruchs beim Finanzamt gewährleistet ist. Hat sie keine organisatorischen Maßnahmen getroffen, zudem die – eindeutig ersichtlich zu Steuernachforderungen führenden – Bescheide erst kurz nach Ablauf der Einspruchsfrist an die Hilfspersonen weitergeleitet und ist sie von den Hilfspersonen nicht über den Ablauf der Einspruchsfrist informiert worden, so kommt eine nachträgliche Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist nicht in Betracht.
Normenkette
AO § 110 Abs. 1 S. 1, § 110 Ab S. 2, § 355 Abs. 1 S. 1
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 Abgabenordnung (AO) in eine versäumte Einspruchsfrist zu gewähren ist.
Die Klägerin ist eine GmbH und eine Verwaltungsgesellschaft im Sinne des Kapitalanlagengesetzbuches (KAGB). Sie verwaltet Immobilien-Sondervermögen in Form von Spezial- und Publikumsfonds.
Die Klägerin schloss mit der X AG im November 2005 einen Dienstleistungsvertrag. Dadurch sollte der Klägerin die Erfahrung und das Fachwissen der Stabsabteilung „Financial Control” der X AG zugänglich gemacht werden. Die Klägerin beauftragte die X AG, die ihr auf dem Gebiet des Rechnungswesens (Finanzbuchhaltung) obliegenden Aufgaben zu übernehmen. Der Vereinbarung war in Anlage 1 eine Auflistung der anfallenden Dienstleistungen beigefügt. X AG war berechtigt, die vereinbarten Dienstleistungen nach vorheriger Zustimmung durch die Hinzunahme von Subunternehmen zu erbringen (§ 1 Nr. 2 des Dienstleistungsvertrags). Wegen der Einzelheiten wird auf den Vertrag vom 14. November 2005 sowie die Anlagen verwiesen.
Die X AG schloss aus Kapazitätsgründen mit der Y Wirtschaftsprüfungsgesellschaft einen Vertrag über die Erbringung von steuerlichen Beratungsleistungen.
Für die Streitjahre 2007-2011 fand bei der Klägerin eine Außenprüfung statt. Die Prüfung erfolgte federführend durch das Finanzamt A, wobei das von der Klägerin verwaltete Sondervermögen durch das Finanzamt B geprüft wurde.
Der in der Folgezeit erstellte Prüfungsbericht vom 4. Januar 2016 erging durch das Finanzamt A. Dabei enthielt der Prüfungsbericht unter Nr. 46 folgenden Hinweis:
„Eine Auswertung des Berichts ist bis zum formellen Abschluss der Betriebsprüfung bei dem Sondervermögen … (2010-2011) durch das Finanzamt B Abt. Betriebsprüfung und der Veranlagung der angepassten Steuererklärung 2007 bis 2011 (siehe Tz. 21 des Berichts) zurückzustellen. In jedem Fall ist der Vorbehalt der Nachprüfung hinsichtlich der Umsatzsteuerbescheide 2010 und 2011 erst nach Abschluss der Betriebsprüfung des Sondervermögens aufzuheben.”
Dem Prüfungsbericht vom 4. Januar 2016 war als Anlage 11 ein Teilbericht des Bundeszentralamts für Steuer vom 5. August 2015 über die Mitwirkung an der Außenprüfung bei der Klägerin beigefügt, in dem die umsatzsteuerliche Vorsteuerproblematik im Zusammenhang mit allgemeinen Verwaltungsleistungen behandelt wurde. Gleichzeitig enthielt der Prüfungsbericht als Anlage 12 einen Berichtsauszug zur Prüfung des Sondervermögens …. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht vom 4. Januar 2016 sowie die Anlagen hierzu verwiesen.
Die Veranlagungsstelle des Beklagten (Finanzamt) wertete nach Rücksprache mit dem Betriebsprüfer für das Sondervermögen … den Prüfungsbericht aus und erließ am 17. Mai 2016 Änderungsbescheide für die Streitjahre u.a. in Sachen Körperschaftsteuer, Gewerbesteuermessbetrag und Umsatzsteuer. Gleichzeitig wurde der Vorb...